Nichtigkeitsstreitwert auch bei mehreren Klägern einheitlich, soweit im Umfang gleicher Angriff – 20 bis 30 Mio EUR im konkreten Fall

Nichtigkeitsstreitwert auch bei mehreren Klägern einheitlich, soweit im Umfang gleicher Angriff – 20 bis 30 Mio EUR im konkreten Fall

Wird das Streitpatent von mehreren Klägern in demselben Umfang angegriffen, ist für eine Aufteilung des Streitwerts auf die einzelnen Klagen und eine geson-derte Wertfestsetzung für den Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit des Prozessbevollmächtigten des einzelnen Klägers kein Raum.

 

BGH BESCHLUSS X ZR 83/10 vom 27. August 2013 – Nichtigkeitsstreitwert II

in der Patentnichtigkeitssache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja

RVG § 32 Abs. 1, § 33 Abs. 1

BGH, Beschluss vom 27. August 2013 – X ZR 83/10 – Bundespatentgericht

Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 27. August 2013 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Meier-Beck, die Richter Gröning, Dr. Grabinski, Hoffmann und die Richterin Schuster
beschlossen:

Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit des Pro-zessbevollmächtigten der Klägerin zu 3 wird auf 20.000.000,00 € festgesetzt.
Im Übrigen wird der Antrag der Beklagten zurückgewiesen.

Gründe:
Der zulässige Antrag der Beklagten auf gesonderte Festsetzung des Ge-genstandswerts für die anwaltliche Tätigkeit im Berufungsverfahren ist hinsicht-lich der Anwaltsgebühren der Prozessbevollmächtigten der Klägerin zu 3 be-gründet, da diese sich nicht nach dem für die Gerichtsgebühren maßgeblichen Wert berechnen (§ 33 Abs. 1 RVG). Hinsichtlich der Klägerinnen zu 1, 2 und 4 ist der Antrag zurückzuweisen.
1. Nach § 32 Abs. 1 RVG ist die Festsetzung eines für die Gerichtsge-bühren maßgebenden Werts auch für die Gebühren des Rechtsanwalts maß-gebend. Den Streitwert für das Berufungsverfahren hat der Senat durch Be-schluss vom 14. Januar 2013 auf 30.000.000 € festgesetzt.
Der Streitwert im Patentnichtigkeitsverfahren ist nach § 51 Abs. 1 GKG nach billigem Ermessen zu bestimmen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats ist dafür im Allgemeinen der gemeine Wert des Patents bei Erhebung der Klage oder Einlegung der Berufung zuzüglich des Betrags der bis da-hin entstandenen Schadensersatzforderungen maßgeblich (BGH, Beschluss vom 11. Oktober 1956 – I ZR 28/55, GRUR 1957, 79; Beschluss vom 7. No-vember 2006 – X ZR 138/04, GRUR 2007, 175 – Sachverständigenentschädi-gung IV; Beschluss vom 28. Juli 2009 – X ZR 153/04, GRUR 2009, 1100 Druckmaschinen-Temperierungssystem III; Beschluss vom 12. April 2011 X ZR 28/09, GRUR 2011, 757 – Nichtigkeitsstreitwert; Busse/Keukenschrijver, Patentgesetz, 7. Aufl., § 84 Rn. 57 mN). Eine Aufteilung des Streitwerts unter mehreren Klägern ist nicht zulässig (BGH, Beschluss vom 24. Juli 1953 I ZR 56/51, GRUR 1953, 477; Benkard/Rogge, Patentgesetz, 10. Aufl., § 84 Rn. 21), da der Wert des Patents für jeden Kläger gleich hoch ist.

2. Jedoch kann für einen Kläger (oder Beklagten) ein geringerer Wert maßgeblich sein, wenn sein Rechtsschutzziel deutlich hinter den Rechtsschutz-zielen der anderen zurückbleibt. Dann ist eine Wertfestsetzung nach § 33 RVG geboten, die gegenüber der Wertfestsetzung nach § 32 RVG subsidiär ist (BGH, Beschluss vom 30. September 2010 – Xa ZR 34/08, juris; Beschluss vom 22. Februar 2011 – X ZR 28/06, juris; Mayer/Kroiß, Rechtsanwaltsvergütungs-gesetz, 6. Aufl., § 33 Rn. 3; Gerold/Schmidt/Mayer, Rechtsanwaltsvergütungs-gesetz, 20. Aufl., § 33 Rn. 3 aE).

3. Entgegen der Auffassung der Beklagten stehen der Anwendung die-ser Grundsätze weder der Gleichheitssatz (Art. 3 GG) noch das Recht auf ein faires Verfahren entgegen.
aa) Die Zivilprozessordnung, die im patentgerichtlichen Verfahren (§ 99 Abs. 1 PatG) und im Nichtigkeitsberufungsverfahren vor dem Bundesgerichts-hof ergänzend Anwendung findet, ermöglicht die Klagen mehrerer Streitgenos-sen gegen einen Beklagten, der bei Unterliegen die Kosten der Kläger zu tra-gen hat, die wiederum bei gemeinsamem Unterliegen ihrerseits einen Anteil der Kosten tragen müssen. Der Beklagte trägt in diesem Fall ein erhöhtes Kostenri-siko (§§ 59 ff., 91, 100 ZPO).

Bei der Patentnichtigkeitsklage handelt es sich um eine Popularklage, die bei in Kraft stehendem Patent von Jedermann ohne das Erfordernis eines Rechtsschutzbedürfnisses erhoben werden kann. Die Gefahr, dass eine unab-sehbare Zahl von Klägern das Patent angreift, besteht allerdings regelmäßig nicht, da im Allgemeinen nur im Verletzungsprozess vom Patentinhaber in An-spruch genommene Personen oder Unternehmen oder solche, denen eine In-anspruchnahme droht, ihrerseits ein Kostenrisiko eingehen und Nichtigkeitskla-ge erheben werden. Dass der Patentinhaber bei subjektiver Klagehäufung ei-nem erhöhten Kostenrisiko ausgesetzt ist, ist dabei zwangsläufige Folge dieser Ausgestaltung des Klagerechts und daher grundsätzlich hinzunehmen. Ob et-was anderes bei missbräuchlicher Klageerhebung gilt, bedarf hier keiner Ent-scheidung, weil entsprechende Umstände weder vorgetragen noch sonst er-sichtlich sind.

bb) Die Beklagte hält die Gebührenbelastung für ein Pharmaunterneh-men, das – wie sie – in der Forschung tätig ist, im Patentnichtigkeitsverfahren häufig auf der Beklagtenseite steht und deren Patent von mehreren Klägern angegriffen wird, für unverhältnismäßig.
In derartigen Verfahren kann – wie ausgeführt – eine ungleiche Kostenbe-lastung der Parteien gegeben sein, wenn dem beklagten Patentinhaber eine Mehrzahl von Klägern gegenübersteht, von denen jeder aus dem Streitwert, der sich nach dem gemeinen Wert des Patents bestimmt, die Anwaltsgebühren für seinen Prozessbevollmächtigten berechnen kann. Die ungleiche Kostenbelas-tung ist eine Folge der Ausgestaltung der Patentnichtigkeitsklage als Popu-larklage und der allgemein anerkannten Grundsätze, nach denen der Streitwert im Patentnichtigkeitsverfahren zu bestimmen ist. Für jede Klage hat das ange-griffene Patent den gleichen Wert. Dieser Wert wird für den einzelnen Kläger nicht dadurch reduziert, dass noch weitere Kläger vorhanden sind. Dies folgt schon daraus, dass die Klagen auch unabhängig voneinander erhoben werden können und sich wie auch im Streitfall auch nach der üblichen Verbindung zu gemeinsamer Verhandlung und Entscheidung unterschiedlich entwickeln kön-nen. Diese Konsequenz der dargelegten rechtlichen Ausgangslage, die keinen Ansatz für Billigkeitserwägungen im Einzelfall bietet, haben die Parteien hinzu-nehmen; eine Korrektur bliebe dem Gesetzgeber vorbehalten.

4. Im Streitfall ist hinsichtlich der Anwaltsgebühren für die Klägerin zu 3 ein geringerer Wert als für die anderen Klägerinnen maßgeblich. Die Klägerin-nen zu 1 und 4 und auch die Klägerin zu 2, die ihre Klage zurückgenommen hat, haben in 1. Instanz das Streitpatent und das ergänzende Schutzzertifikat angegriffen, die Klägerin zu 3 hat nur auf die Nichtigerklärung des Streitpatents angetragen.
Das Patentgericht hat das Streitpatent und das Schutzzertifikat für nichtig erklärt. Maßgeblich für den Gegenstandswert der anwaltlichen Tätigkeit für die Klägerinnen ist jeweils deren Antrag auf Zurückweisung der Berufung der Be-klagten, mit der diese die Abänderung des patentgerichtlichen Urteils und die Abweisung der jeweiligen Nichtigkeitsklage beantragt hat.
Der Senat bewertet das Streitpatent mit zwei Dritteln und das Schutzzer-tifikat mit einem Drittel des Gesamtstreitwerts. Der Gegenstandswert der an-waltlichen Tätigkeit der Klägerinnen zu 1 und 4 ist demnach mit dem für die Ge-richtsgebühren festgesetzten Wert von 30.000.000 € identisch, während der
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Gegenstandswert der anwaltlichen Tätigkeit der Klägerin zu 3, die nur das Streitpatent betroffen hat, zwei Dritteln des für die Gerichtsgebühren festgesetz-ten Werts entspricht.
Meier-Beck Gröning Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Grabinski kann wegen Ur-laubs nicht unterschreiben.
Meier-Beck
Hoffmann Schuster
Vorinstanz:
Bundespatentgericht, Entscheidung vom 19.05.2010 – 3 Ni 15/08 (EU) –

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