Die klageweise Geltendmachung der Ansprüche auf Unterlassung, Rückruf und Vernichtung durch den Patentinhaber auch dann missbräuchlich, wenn der Verletzer sich zwar (noch) nicht rechtsverbindlich zum Abschluss eines Lizenzvertrages zu bestimmten angemessenen Bedingungen bereit erklärt hat, dem Patentinhaber aber anzulasten ist, dass er sich seinerseits nicht hinreichend bemüht hat

Die klageweise Geltendmachung der Ansprüche auf Unterlassung, Rückruf und Vernichtung durch den Patentinhaber auch dann missbräuchlich, wenn der Verletzer sich zwar (noch) nicht rechtsverbindlich zum Abschluss eines Lizenzvertrages zu bestimmten angemessenen Bedingungen bereit erklärt hat, dem Patentinhaber aber anzulasten ist, dass er sich seinerseits nicht hinreichend bemüht hat

a) Die klageweise Geltendmachung der Ansprüche auf Unterlassung, Rückruf und Vernichtung durch den Patentinhaber kann sich auch dann als miss-bräuchlich darstellen, wenn der Verletzer sich zwar (noch) nicht rechtsverbind-lich zum Abschluss eines Lizenzvertrages zu bestimmten angemessenen Be-dingungen bereit erklärt hat, dem Patentinhaber aber anzulasten ist, dass er sich seinerseits nicht hinreichend bemüht hat, der mit der marktbeherrschen-den Stellung verbundenen besonderen Verantwortung gerecht zu werden und einem grundsätzlich lizenzwilligen Verletzer den Abschluss eines Lizenzver-trages zu ermöglichen.
b) Besondere Verhaltenspflichten des marktbeherrschenden Patentinhabers können sich insbesondere daraus ergeben, dass der von der Verletzung un-terrichtete Verletzer klar und eindeutig seinen Willen und seine Bereitschaft bekundet hat, mit dem Patentinhaber einen Lizenzvertrag zu angemessenen und nicht-diskriminierenden Bedingungen abzuschließen, aber nicht oder je-denfalls nicht ohne weiteres in der Lage ist, von sich aus die Bedingungen zu formulieren, die ihm der Patentinhaber unter Beachtung des ihn treffenden Diskriminierungs- und Behinderungsverbots einräumen muss. Den Patentin-haber kann die Verpflichtung treffen, seine Lizenzforderung im Einzelnen zu begründen, um dem Lizenzwilligen eine Überprüfung zu ermöglichen, ob die Lizenzforderung einen Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung dar-stellt.
c) Das Angebot eines Portfoliolizenzvertrages oder eines sonstigen, weitere Schutzrechte umfassenden Lizenzvertrages durch einen marktbeherrschen-den Inhaber eines standardessentiellen Patents ist jedenfalls insoweit grund-sätzlich kartellrechtlich unbedenklich, als er den Lizenznehmer nicht zu Zah-lungen für die Benutzung nicht-standardessentieller Patente verpflichtet und die Vergütung so berechnet wird, dass Anwender, die ein Produkt für ein spe-zifisches, geografisch begrenztes Gebiet entwickeln möchten, nicht benachtei-ligt werden.
d) Der Verletzer kann dem Schadensersatzanspruch des Patentinhabers einen eigenen Schadensersatzanspruch entgegenhalten, der auf die Nichterfüllung seines Anspruchs auf Abschluss eines Lizenzvertrages zu angemessenen und nicht-diskriminierenden Bedingungen gestützt ist. Ein solcher Gegenanspruch kann erst entstehen, wenn der Verletzer vom Patentinhaber (zunächst durch Bekundung seiner Lizenzbereitschaft) den Abschluss eines Lizenzvertrages zu FRAND-Bedingungen verlangt und der Patentinhaber hierauf nicht in Ein-klang mit den ihn wegen seiner marktbeherrschenden Stellung treffenden Verpflichtungen reagiert, indem er sich entweder rechtswidrig weigert, einen solchen Lizenzvertrag abzuschließen oder trotz der Lizenzbereitschaft des Patentverletzers kein Angebot zu FRAND-Bedingungen abgibt.
BGH URTEIL KZR 36/17 vom 5.5.2020 – FRAND-Einwand
AEUV Art. 102 Abs. 2 Buchst. b, c; GWB §§ 18, 19 Abs. 2 Nr. 1 bis 4

a) Die klageweise Geltendmachung der Ansprüche auf Unterlassung, Rückruf und Vernichtung durch den Patentinhaber kann sich auch dann als miss-bräuchlich darstellen, wenn der Verletzer sich zwar (noch) nicht rechtsverbind-lich zum Abschluss eines Lizenzvertrages zu bestimmten angemessenen Be-dingungen bereit erklärt hat, dem Patentinhaber aber anzulasten ist, dass er sich seinerseits nicht hinreichend bemüht hat, der mit der marktbeherrschen-den Stellung verbundenen besonderen Verantwortung gerecht zu werden und einem grundsätzlich lizenzwilligen Verletzer den Abschluss eines Lizenzver-trages zu ermöglichen.
b) Besondere Verhaltenspflichten des marktbeherrschenden Patentinhabers können sich insbesondere daraus ergeben, dass der von der Verletzung un-terrichtete Verletzer klar und eindeutig seinen Willen und seine Bereitschaft bekundet hat, mit dem Patentinhaber einen Lizenzvertrag zu angemessenen und nicht-diskriminierenden Bedingungen abzuschließen, aber nicht oder je-denfalls nicht ohne weiteres in der Lage ist, von sich aus die Bedingungen zu formulieren, die ihm der Patentinhaber unter Beachtung des ihn treffenden
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Diskriminierungs- und Behinderungsverbots einräumen muss. Den Patentin-haber kann die Verpflichtung treffen, seine Lizenzforderung im Einzelnen zu begründen, um dem Lizenzwilligen eine Überprüfung zu ermöglichen, ob die Lizenzforderung einen Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung dar-stellt.
c) Das Angebot eines Portfoliolizenzvertrages oder eines sonstigen, weitere Schutzrechte umfassenden Lizenzvertrages durch einen marktbeherrschen-den Inhaber eines standardessentiellen Patents ist jedenfalls insoweit grund-sätzlich kartellrechtlich unbedenklich, als er den Lizenznehmer nicht zu Zah-lungen für die Benutzung nicht-standardessentieller Patente verpflichtet und die Vergütung so berechnet wird, dass Anwender, die ein Produkt für ein spe-zifisches, geografisch begrenztes Gebiet entwickeln möchten, nicht benachtei-ligt werden.
d) Der Verletzer kann dem Schadensersatzanspruch des Patentinhabers einen eigenen Schadensersatzanspruch entgegenhalten, der auf die Nichterfüllung seines Anspruchs auf Abschluss eines Lizenzvertrages zu angemessenen und nicht-diskriminierenden Bedingungen gestützt ist. Ein solcher Gegenanspruch kann erst entstehen, wenn der Verletzer vom Patentinhaber (zunächst durch Bekundung seiner Lizenzbereitschaft) den Abschluss eines Lizenzvertrages zu FRAND-Bedingungen verlangt und der Patentinhaber hierauf nicht in Ein-klang mit den ihn wegen seiner marktbeherrschenden Stellung treffenden Verpflichtungen reagiert, indem er sich entweder rechtswidrig weigert, einen solchen Lizenzvertrag abzuschließen oder trotz der Lizenzbereitschaft des Patentverletzers kein Angebot zu FRAND-Bedingungen abgibt.
BGH, Urteil vom 5. Mai 2020 – KZR 36/17 – OLG Düsseldorf
LG Düsseldorf
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Der Kartellsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 5. Mai 2020 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Meier-Beck, die Richter Dr. Berg und Dr. Tolkmitt sowie die Richterinnen Dr. Rombach und Dr. Linder
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 15. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 30. März 2017 unter Zu-rückweisung der Anschlussrevision der Beklagten im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als das Berufungsgericht zum Nachteil der Klägerin erkannt hat und das Urteil der 4a-Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf vom 3. November 2015 nicht aufgrund der übereinstimmenden Erledigungserklärungen der Parteien (Un-terlassungsausspruch) wirkungslos ist. Im Umfang der Aufhebung wird die Berufung der Beklagten gegen das Urteil der 4a-Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf vom 3. November 2015 mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass in den die Mobilstationen konkretisierenden Text (I. 1) nach “Benutzerdatenrate-Verhandlung” die Worte “während des Anrufaufbaus” eingefügt werden und dass die Verurteilung zur Vernichtung (I. 4) auf solche im unmittelbaren oder mittelbaren Besitz oder Eigentum der Be-klagten zu 1 befindlichen Erzeugnisse beschränkt ist, die die Be-klagte zu 1 bis zum 25. September 2016 in Besitz oder Eigentum hatte, sowie die Verurteilung zum Rückruf (I. 5) auf solche Er-zeugnisse beschränkt wird, die bis zum 25. September 2016 her-gestellt und geliefert worden sind.
Die erst- und zweitinstanzlichen Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben, die Kosten des Revisionsverfahrens tragen die Beklagten.
Von Rechts wegen
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Tatbestand:
Die Klägerin ist seit dem 8. August 2012 im Register des Deutschen Patent- und Markenamts eingetragene Inhaberin des deutschen Teils des euro-päischen Patents 852 885 (Klagepatents), das am 25. September 1996 unter Inanspruchnahme der Priorität einer finnischen Anmeldung vom 25. September 1995 angemeldet wurde und während des Berufungsverfahrens durch Zeitablauf erloschen ist. Anmelderin und zunächst eingetragene Inhabe-rin war die N. . Das Patentgericht (Urteil vom 6. Oktober 2017 – 6 Ni 10/15 EP) hat das Klagepatent unter Abweisung der Klage im Übrigen im Um-fang des hier maßgeblichen Patentanspruchs 12 für nichtig erklärt, soweit die-ser über folgende Fassung hinausgeht (Änderungen gegenüber der erteilten Fassung sind hervorgehoben):
“A mobile station (MS) for a digital mobile communication system, characterized by comprising
at least one data call bearer service which covers several user data rates and which is determined for the mobile subscriber at the subscriber database of the mobile communication network,
means for carrying out a user data rata negotiation during call set-up for set-ting the user data rate to be used in a data transfer with the mobile communica-tion network (BTS, BSC, MSC) and for establishing the data call with radio channel resources allocated according to the user data rate negotiated.”
Die hiergegen eingelegte Berufung der Beklagten ist ohne Erfolg geblie-ben (BGH, Urteil vom 10. März 2020 – X ZR 44/18, juris).
Die Beklagten gehören demselben Konzern an. Die Beklagte zu 1 ver-treibt in Deutschland Mobiltelefone und Tablets. Die Beklagte zu 2 bot im Sep-tember 2014 auf der Internationalen Funkausstellung in Berlin Mobiltelefone sowie Tablets an. Die von der Klägerin angegriffenen Mobiltelefone und Tablets unterstützen den Dienst GPRS (General Packet Radio Service). Dabei handelt es sich um eine Erweiterung des GSM-Standards (Global System for Mobile Communications Standard). Beide Standards werden von dem European Tele-communication Standard Institute (ETSI) verantwortet.
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Am 10. April 2013 gab die Klägerin gegenüber ETSI die im Einzelnen aus Anlage AR 3 ersichtliche Verpflichtungserklärung ab, wonach sie bereit sei, u.a. das Klagepatent zu fairen, angemessenen und nicht-diskriminierenden (fair, reasonable, and non-discriminatory, im Folgenden: FRAND) Bedingungen zu lizenzieren.
Die Klägerin sieht in dem Angebot der angegriffenen Mobiltelefone und Tablets eine Verletzung ihrer Rechte aus dem Klagepatent. Sie hat die Beklag-ten auf Unterlassung, Auskunft, Rechnungslegung, Vernichtung und Rückruf sowie auf Feststellung ihrer Verpflichtung zum Schadensersatz in Anspruch genommen. Das Landgericht hat die Beklagten antragsgemäß verurteilt.
Im Berufungsverfahren haben die Parteien den Unterlassungsantrag we-gen des Ablaufs der Schutzdauer des Klagepatents übereinstimmend für erle-digt erklärt. Die Klägerin hat das landgerichtliche Urteil mit der Maßgabe vertei-digt, dass die weiteren Anträge auf Verletzungshandlungen bis zum 25. September 2016 beschränkt sind. Das Berufungsgericht hat die Feststel-lung zur Verpflichtung zum Schadensersatz auf den durch bis zum 25. September 2016 begangene Handlungen verursachten Schaden be-schränkt. Die auf Auskunft und Rechnungslegung gerichteten Anträge hat das Berufungsgericht, soweit Angaben zu Kosten und Gewinn verlangt werden, ebenso als derzeit unbegründet abgewiesen wie das auf Vernichtung und Rück-ruf gerichtete Klagebegehren.
Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision wendet sich die Klägerin gegen das Berufungsurteil und begehrt, soweit das Berufungsgericht zu ihrem Nachteil erkannt hat, hinsichtlich des nicht für erledigt erklärten Teils des Rechtsstreits die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils, wobei die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat klargestellt hat, dass die Anträge nur nach Maßgabe der eingeschränkten Fassung des Klagepatents weiterverfolgt werden und hinsichtlich der begehrten Vernichtung auf Erzeug-nisse, die die Beklagte zu 1 bis zum 25. September 2016 in Besitz oder Eigen-tum hatte, sowie hinsichtlich des begehrten Rückrufs auf Erzeugnisse be-schränkt sind, die bis zum 25. September 2016 hergestellt und geliefert worden sind. Mit ihrer Anschlussrevision wenden sich die Beklagten gegen ihre Verur-teilung.
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Entscheidungsgründe:
Die zulässige Revision führt im von der Klägerin begehrten Umfang zur Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils, soweit die Parteien den Rechtsstreit nicht übereinstimmend für in der Hauptsache erledigt erklärt haben; die Anschlussrevision der Beklagten bleibt ohne Erfolg.
I. Rechtsfehlerfrei hat das Berufungsgericht angenommen, mit An-gebot und Vertrieb der angegriffenen mobilfunkfähigen Geräte machten die Be-klagten von der technischen Lehre des geltend gemachten Patentanspruchs 12 Gebrauch und verletzten damit das Klagepatent.
1. Das Klagepatent betrifft ein Verfahren zum Aufbau eines Datenan-rufs in einem Mobilkommunikationssystem und eine Mobilstation für ein solches System.
a) Nach den Ausführungen im Klagepatent ermöglichen moderne Mobilkommunikationssysteme neben Sprachanrufen auch Datenanrufe (data calls). Dabei könne die Datenübertragungsrate (data rate), also die Datenmen-ge, die pro Zeiteinheit übertragen werde, unterschiedlich sein. Zur Abwicklung solcher Anrufe bedürfe es bestimmter Telekommunikationsdienste, wobei man Teledienste (tele services) und Trägerdienste (bearer services) unterscheide. Unter einem Trägerdienst sei ein Telekommunikationsdienst zur Übertragung von Signalen zwischen den Nutzer-Netzwerk-Schnittstellen zu verstehen. Ein Beispiel hierfür seien Modemdienste (Abs. 2).
Im Stand der Technik bedürfe es für jede Benutzerdatenrate eines ei-genständigen Trägerdienstes (Abs. 3).
Ein Mobilfunkteilnehmer (mobile subscriber) könne in unterschiedlichem Umfang zur Nutzung von Tele- oder Trägerdiensten berechtigt sein. So könne er beispielsweise Zugang zu unterschiedlichen Datendiensten haben, zu deren Nutzung es unterschiedlicher Trägerdienste bedürfe. Dies erfordere es, dass dem Netzwerk mitgeteilt werde, welcher konkrete Trägerdienst für einen Daten-anruf benötigt werde. So enthalte beispielsweise nach dem Mobilfunkstandard GSM
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das Signal einer Mobilstation an das Mobilkommunikationsnetzwerk zum Auf-bau des Anrufs Informationen über den benötigten Trägerdienst in einem Trä-gerkapazitätsinformationselement (Bearer Capability Information Element, BCIE, Abs. 4).
An einer solchen Information über den für den Anruf benötigten Dienst fehle es aber, wenn der Anruf vom öffentlichen Telefonnetz (Public Switched Telephone Network, PSTN) ausgehe oder über dieses geroutet werde. In die-sem Fall müsse das Mobilkommunikationsnetz auf andere Weise über den für den Anruf benötigten Dienst informiert werden.
Im Stand der Technik sei zur Lösung des Problems ein Mehrfachnum- merierungsschema (Multi Numbering Scheme) bekannt gewesen, bei welchem einem Mobilfunkteilnehmer so viele Verzeichnisnummern zugewiesen seien, wie er gewünschte Dienste für den Empfang eingehender Anrufe zur Verfügung habe. Der Anrufer wähle die Verzeichnisnummer des Mobilfunkteilnehmers, die dem gewünschten Dienst entspreche. Im GSM-System seien die Dienste der Teilnehmer neben anderen Informationen über den Teilnehmer in dem Standortregister (Home Location Register, HLR) gespeichert. Dieses Register werde auch verwendet, um Informationen über die Zuordnung der Verzeichnis-nummern zu den Diensten des Teilnehmers zu speichern. Im Standortregister sei auch ein spezifisches BCI-Element, welches den Typ eines Anrufs und die für den Anruf erforderlichen Netzressourcen angebe, mit der Verzeichnisnum-mer (Mobile Subscriber ISDN Number, MSISDN) verknüpft.
Sowohl für den Netzbetreiber als auch für die Mobilfunkteilnehmer habe die damit verbundene Zahl verschiedener Dienste Nachteile. Damit der Mobil-funkteilnehmer Datenanrufe mit unterschiedlichen Datenraten ausführen könne, müsse er mehrere Trägerdienste von dem Netzbetreiber abonnieren. Aus der Sicht des Netzwerkbetreibers sei es nachteilig, dass in erheblichem Umfang Nummernraum und Datenbankkapazitäten verbraucht würden.
b) Das Berufungsgericht hat ebenso wie das Patentgericht in seinem Urteil vom 6. Oktober 2017 in Anlehnung an Absatz 8 der Beschreibung ange-nommen, dem Klagepatent liege das technische Problem zugrunde, ein digita-
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les Mobilkommunikationsnetz bereitzustellen, in dem ein festgelegter Träger-dienst so viele Datenraten wie möglich handhaben könne.
Dem kann nicht beigetreten werden. Die Bestimmung des technischen Problems dient dazu, den Ausgangspunkt der fachmännischen Bemühungen um eine Bereicherung des Stands der Technik ohne Kenntnis der Erfindung zu bestimmen, um bei der anschließenden und davon zu trennenden Prüfung auf Patentfähigkeit zu bewerten, ob die vorgeschlagene Lösung durch den Stand der Technik vorweggenommen oder nahegelegt war. Mit Rücksicht hierauf dür-fen Elemente, die zur patentgemäßen Lösung gehören, bei der Bestimmung des technischen Problems nicht berücksichtigt werden (BGH, Urteil vom 11. November 2014 – X ZR 128/09, GRUR 2015, 356 Rn. 9 – Repaglinid).
Dem Klagepatent liegt hiernach das technische Problem zugrunde, eine Mobilstation für ein digitales Mobilkommunikationssystem bereitzustellen, in dem die Nutzung verschiedener Datenträgerdienste mit unterschiedlichen Da-tenraten auf einfache und effektive Weise ermöglicht wird (BGH, Urteil vom 10. März 2020 – X ZR 44/18, juris Rn. 16).
b) Dieses Problem soll erfindungsgemäß durch eine Vorrichtung ge-löst werden, deren Merkmale sich – sachlich übereinstimmend mit dem Beru-fungsgericht – wie folgt gliedern lassen (im Nichtigkeitsverfahren hinzugefügtes Merkmal hervorgehoben):
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Eine Mobilstation (MS) für ein digitales Mo-bilkommunikationssystem, umfassend
A mobile station (MS) for a digital mobile communication system, comprising
1.
mindestens einen Datenanruf-Trägerdienst, der
at least one data call bearer service, which
a)
mehrere Benutzerdatenraten umfasst und
covers several user data rates and
b)
für den Mobilfunkteilnehmer in der Teilnehmerdatenbank des Mobilkommunika-tionsnetzwerks bestimmt ist;
is determined for the mobile subscriber at the subscriber data base of the mobile commu-nication network,
2.
Mittel,
Means
a)
um während des Anrufaufbaus eine Ver-handlung über die Benutzerdatenrate durch-zuführen, um die Benutzerdatenrate einzu-stellen, die in einer Datenübertragung mit dem Mobilkommunikationsnetzwerk (BTS, BSC, MSC) verwendet werden soll, und
for carrying out a user data rate negotiation during call set-up for setting the user data rate to be used in a data transfer with the mobile communication network (BTS, BSC, MSC) and
b)
um den Datenanruf mit Funkkanalressourcen aufzubauen, die entsprechend der ausge-handelten Benutzerdatenrate zugewiesen sind.
for establishing the data call with radio chan-nel resources allocated according to the user data rate negotiated.
2. Das Berufungsgericht (OLG Düsseldorf, GRUR 2017, 1219) hat angenommen, die Beklagten nutzten entgegen § 9 PatG diese technische Leh-re und hat dies im Wesentlichen wie folgt begründet:
Die Merkmalsgruppe 1 sei wortsinngemäß erfüllt. Unter einer zumindest einen Datenanruf-Trägerdienst “umfassenden” Mobilstation verstehe das Kla-gepatent, dass die Mobilstation über Mittel zum Ausführen eines Datenanruf-Trägerdienstes verfüge und diesen Dienst zur Signalübertragung mit anderen Benutzer-Netzwerk-Schnittstellen verwenden könne. Nach der zwingenden Vorgabe des GPRS-Standards umfasse das Informationselement (IE) zur Dienstgüte (Quality of Service, QoS) mehrere auswählbare Datenraten. Des Weiteren sehe Release 4 des GPRS-Standards, mit dem die angegriffenen Ge-räte kompatibel seien, eine Hinterlegung des nutzerbezogenen Paketdatenpro-tokolls (Packet Data Protocol, PDP) Kontext und des aus dem Dienstgüteinfor-mationselement erzeugten QoS-Profils im Standortregister vor. Da der Träger-dienst anhand des PDP-Kontextes die Übertragung der Datenpakete vornehme, sei er für den Mobilteilnehmer in einer patentgemäßen Datenbank bestimmt. Es sei unerheblich, ob die angegriffenen Ausführungsformen tatsächlich Träger-dienste verwendeten, die mehrere Benutzerdatenraten umfassten. Ebenso we-
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nig sei von Bedeutung, dass zum Zeitpunkt des Angebots und des Inverkehr-bringens in den angegriffenen Ausführungsformen noch kein Eintrag im Standortregister für den Mobilteilnehmer vorhanden sei.
Unter Mitteln im Sinne der Merkmalsgruppe 2 verstehe das Klagepatent, dass die Mobilstation in der Lage sei, eine in der Antwort auf ihre Anfrage vom Mobilkommunikationsnetzwerk mitgeteilte geänderte Datenrate zu akzeptieren, sofern sie diese unterstütze. Auch eine Mobilstation, die im Falle einer nicht unterstützten Datenrate die Datenrate unverändert oder den Datenanruf fallen lasse, sei patentgemäß.
3. Diese Beurteilung erweist sich als rechtsfehlerfrei und trifft auch für die im Patentnichtigkeitsverfahren um das zusätzliche Merkmal der Ver-handlung während des Anrufaufbaus ergänzte Fassung des Patentan-spruchs 12 zu.
a) Die Frage, wie Anspruch 12 des Klagepatents auszulegen ist, ist eine Rechtsfrage und kann vom Revisionsgericht in vollem Umfang nachgeprüft werden (vgl. BGH, Urteil vom 7. September 2004 – X ZR 255/01, BGHZ 160, 204, 212 – Bodenseitige Vereinzelungseinrichtung; Urteil vom 20. Mai 2008 – X ZR 180/05, BGHZ 176, 311 Rn. 19 – Tintenpatrone I). Die Auslegung durch das Berufungsgericht hält dieser Nachprüfung stand.
aa) Unter einem Datenanruf-Trägerdienst im Sinne des Merkmals 1 ist unter Berücksichtigung des technischen Vorverständnisses des Fachmanns, der nach den unbeanstandeten Feststellungen des Berufungsgerichts über ei-nen (Fach-)Hochschulabschluss auf dem Gebiet der Elektrotechnik und profun-de Kenntnisse in der Übertragungstechnik sowie mehrjährige praktische Be-rufserfahrung in der Entwicklung von Mobilkommunikationssystemen verfügt, in Übereinstimmung mit Absatz 2 der Klagepatentschrift ein Kommunikations-dienst zu verstehen, der die Datenübertragung an den Nutzer-Netzwerk-Schnittstellen eines Telekommunikationssystems bewirkt.
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(1) Entgegen der Auffassung der Anschlussrevision ist der Datenanruf nicht notwendigerweise ein leitungsvermittelter Anruf, sondern kann auch ein paketvermittelter Anruf sein, wie das Berufungsgericht, ohne dies ausdrücklich auszusprechen, durch die Bezugnahme auf den entsprechenden Abschnitt des Standards seiner Prüfung der Verletzung zugrunde gelegt hat. Es mag zwar zutreffen, dass das Problem, das mit der technischen Lehre des Klagepatents gelöst wird, durch die Datenübertragung bei leitungsvermittelten Anrufen ent-standen ist und in der Beschreibung des Klagepatents auch entsprechend dar-gestellt wird. Dies rechtfertigt aber noch keine entsprechende Beschränkung des Sinngehalts des Patentanspruchs, für die der Beschreibung auch sonst nichts zu entnehmen ist. Die Anschlussrevision zeigt hierfür auch keine An-haltspunkte auf. Ihre Interpretation, die das Klagepatent nicht aus sich heraus und unter Berücksichtigung des in der Beschreibung geschilderten Standes der Technik, sondern aus dem (nachveröffentlichten) Standard auslegt und denje-nigen Abschnitt, der sich mit den auch in der Beschreibung des Klagepatents geschilderten leitungsvermittelten, nach ihrer Auffassung allein erfindungsge-mäßen Datenanrufen befasst, demjenigen Abschnitt des Standards gegenüber-stellen will, der die Vorgaben für paketvermittelte Dienste enthält, ist wegen die-ses fehlerhaften Ausgangspunkts unzutreffend.
(2) Mehrere Benutzerdatenraten im Sinne von Merkmal 1a umfasst der Datenanruf-Trägerdienst, wenn ein festgelegter Trägerdienst mehrere Da-tenraten handhaben kann (vgl. Beschreibung des Klagepatents, Abs. 8).
(3) Zutreffend hat das Berufungsgericht angenommen, dass Merk-mal 1 lediglich verlangt, dass die Mobilstation über Mittel zum Ausführen eines Datenanruf-Trägerdienstes verfügt und diesen Dienst zur Signalübertragung mit anderen Nutzer-Netzwerk-Schnittstellen verwenden kann. Die Verwendung des Dienstes hängt nach Merkmal 2b davon ab, dass der Mobilstation Funkkanal-ressourcen zugewiesen werden. Trägerdienste werden, wie sich auch aus der Beschreibung des Klagepatents ergibt, von dem mobilen Kommunikationsnetz-werk und nicht von dem Mobiltelefon bereitgestellt und sollen an den Nutzer-Netzwerk-Schnittstellen die Datenübertragung bewirken. Das Netzwerk muss dementsprechend darüber informiert werden, welchen Trägerdienst ein einge-hender
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oder abgehender Anruf erfordert (Abs. 4: ″A mobile terminating or originating call may therefore require any of aforementioned tele and bearer services, or combinations thereof, for which reason the correct service must be addressed to the mobile communication network″). Das Berufungsgericht hat zu Recht da-rauf hingewiesen, dass in Einklang damit die Ausführungsbeispiele in der Kla-gepatentschrift eine durch einen Anruf initiierte Anforderung eines Trägerdiens-tes beschreiben. So obliegt in den Ausführungsbeispielen der in einem GSM-System vorgesehenen Mobildienstvermittlungsstelle (Mobile Switching Center, MSC) die Prüfung, ob sie den angeforderten Dienst unterstützt (“In the compa-tibility check, the MSC checks whether it is able to support the service reques-ted″, Abs. 29).
Merkmal 1 beschreibt damit eine Kommunikationsfunktion, zu deren Aus-führung die Mobilstation kraft ihrer räumlich-körperlichen Ausgestaltung und Programmierung in der Lage sein muss. Dass sich die Eignung der Mobilstation zur Verwendung eines Datenanruf-Trägerdienstes (Merkmal 1), der mehrere Benutzerdatenraten umfasst (Merkmal 1a), nicht unabhängig von einem Zu-sammenwirken der Mobilstation mit den übrigen Komponenten des Kommuni-kationsnetzwerks, insbesondere der Vermittlungsstelle, bestimmen lässt, führt nicht zu einer Beschränkung des Gegenstands des Klagepatents auf die Ver-wendung der Mobilstation in einem Mobilkommunikationssystem. Die Mobilsta-tion ist als Erzeugnis beansprucht. Der Schutz eines Erzeugnisses beschränkt sich grundsätzlich nicht auf seine Verwendung zu einem bestimmten Zweck, mag sich dieser auch unmittelbar aus dem Anspruch ergeben. Sind Zweck-, Wirkungs- und Funktionsangaben Bestandteil eines Patentanspruchs, nehmen sie zwar in der Regel an dessen Aufgabe teil, den geschützten Gegenstand zu bestimmen und damit zugleich zu begrenzen, wenn sie das Vorrichtungsele-ment, auf das sie sich beziehen, als ein solches definieren, das so ausgebildet sein muss, dass es die betreffende Funktion erfüllen kann (vgl. BGH, Urteil vom 20. Mai 2008 – X ZR 180/05, BGHZ 176, 311 Rn. 17 – Tintenpatrone I, mwN), und so verhält es sich auch hier. Dafür ist es aber ausreichend, wenn die Mobil-station räumlich-körperlich und nach ihrer Programmierung so ausgebildet ist, dass sie im Zusammenwirken mit den übrigen Komponenten eines mobilen Kommunikationssystems mindestens einen Datenanruf-Trägerdienst mit mehre-ren Benutzerdatenraten verwenden kann.
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Entsprechendes gilt für Merkmal 1b. Zu Recht hat das Berufungsgericht angenommen, dieses Merkmal erfordere nicht, dass die Mobilstation einem Mobilteilnehmer in der Teilnehmer-Datenbank des Mobilkommunikationsnetz-werks zugeordnet sei; es sei vielmehr so zu verstehen, dass die Mobilstation über Mittel verfüge, mit denen im Falle einer Ausführung des Datenanruf-Trägerdienstes eine derartige Zuordnung erfolge.
bb) Nach Merkmal 2a muss die Mobilstation über Mittel verfügen, um eine Verhandlung über die bei einem Datenanruf zu verwendende Benutzerda-tenrate durchzuführen. Hierfür genügt es nicht, dass nach der Mitteilung einer gewünschten Datenrate durch eine Seite die Gegenseite nur die Möglichkeit hat, diesen Vorschlag anzunehmen, und anderenfalls die Verbindung nicht zu-stande kommt. Ein Abbruch des Verbindungsaufbaus kommt nach der Erfin-dung erst in Betracht, wenn auch dieser Gegenvorschlag nicht angenommen wird (BGH, Urteil vom 10. März 2020 – X ZR 44/18, juris Rn. 28). Wie sich aus den insoweit übereinstimmenden Ausführungsbeispielen (Abs. 28 bis 44) ergibt, die nach Absatz 27 den Verbindungsaufbau nach der Lehre der Erfindung be-schreiben, setzt eine Verhandlung im Sinne von Merkmal 2a voraus, dass ein von einer Seite unterbreiteter Wunsch für eine bestimmte Datenrate von der Gegenseite mit einem abweichenden Vorschlag beantwortet werden kann. Die-ses Verständnis kommt in der Beschreibung u.a. auch darin zum Ausdruck, dass zwischen erkannter (recognized) und verhandelter (negotiated, handsha-ken) Datenrate unterschieden wird (Abs. 26, Zeile 47; Abs. 33, rechte Spalte Zeile 49). Ein Verhandeln liegt aber auch dann vor, wenn das Trägerkapazitäts-informationselement BCIE keine bestimmte Datenrate, sondern unterschiedli-che Benutzerdatenraten angibt und die Gegenseite zwischen diesen wählen kann. Denn auch in diesem Fall steht die Benutzerdatenrate, mit der der Trä-gerdienst ausgeführt werden soll, nicht bereits mit ihrer erstmaligen Signalisie-rung beispielsweise durch das BCIE fest, sondern bedarf es zusätzlich einer Entscheidung des Adressaten der Mitteilung.
cc) Aufgrund der nach ständiger Rechtsprechung im Revisionsverfah-ren zu berücksichtigenden teilweisen Nichtigerklärung des Klagepatents muss
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die so verstandene Verhandlung über die Benutzerdatenrate während des An-rufaufbaus (during call setup) erfolgen.
dd) Gegen die Auslegung der weiteren Merkmale des Patentan-spruchs 12 durch das Berufungsgericht erhebt die Revision keine Rügen; sie lässt keine Rechtsfehler erkennen.
b) Das Berufungsgericht ist ohne Rechtsfehler zu dem Ergebnis ge-langt, dass die angegriffenen Ausführungsformen Anspruch 12 in der erteilten Fassung, die dem Berufungsverfahren zugrunde lag, verwirklichen.
aa) Das Berufungsgericht hat zu Recht die Verwirklichung der Merk-male 1 und 1a bejaht. Aus den dargelegten Gründen genügt hierzu die vom Berufungsgericht getroffene Feststellung, dass die angegriffenen Mobilstationen Mittel zum Ausführen eines Trägerdienstes besitzen, der mehrere Benutzerda-ten abdeckt. Denn eine Patentverletzung liegt auch dann vor, wenn eine Vor-richtung regelmäßig so bedient wird, dass die patentgemäßen Eigenschaften und Wirkungen nicht erzielt werden (BGH, Urteil vom 13. Dezember 2005 – X ZR 14/02, GRUR 2006, 399 Rn. 21 – Rangierkatze).
Ebenfalls unerheblich ist aus den dargelegten Gründen (Rn. 28), dass ein PDP-Kontext, auf den das Berufungsgericht abgestellt hat, keine leitungs-vermittelten, sondern lediglich paketvermittelte Anrufe betrifft.
bb) Dementsprechend ist auch Merkmal 1b verwirklicht. Nach den un-angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts verfügen die angegriffenen Ausführungsformen über Mittel, die zur Zuordnung des Mobilteilnehmers zum Standortregister (HLR) beitragen. Es ist ohne Relevanz, dass zur Identifikation eines Mobilfunkteilnehmers im HLR dessen internationale Funk-Nutzer-Identität (International Mobile Subscriber Identity, IMSI) benötigt wird, so dass sich eine Mobilstation mit dem Netzwerk erst verbinden kann, wenn eine SIM-Karte, auf welcher die IMSI gespeichert ist, in die Mobilstation eingeführt wird.
cc) Da nach dem Ergebnis der Auslegung ein Verhandeln auch in dem Fall angenommen werden kann, dass im Informationselement keine be-stimmte Datenrate, sondern unterschiedliche Benutzerdatenraten angegeben sind und die Gegenseite zwischen diesen wählen kann (Rn. 33), hat das Beru-
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fungsgericht auch zutreffend das Teilmerkmal des Verhandelns gemäß Merk-mal 2a bejaht.
Nach seinen nicht beanstandeten Feststellungen, welche ergänzend auf die Feststellungen des landgerichtlichen Urteils Bezug nehmen, enthält das Paketdatenprotokoll ein Dienstgüte-Informationselement (Quality of Service Information Element, QoS IE). Unter Hinweis auf die Tabelle 10.5.138 des GPRS-Standards hat das Berufungsgericht festgestellt, dass mittels des QoS IE eine Bandbreite von Datenraten (nämlich von 0 kbps bis zur maximalen Daten-rate) angefragt werden kann, aus der der Trägerdienst – gemeint ist offensicht-lich das diesen zur Verfügung stellende Netzwerk – auswählen kann. Dies folgt auch aus der vom Berufungsgericht in Bezug genommenen Feststellung des Landgerichts, wonach Abschnitt 10.5.156 des Standarddokuments (LGU 23; Anlage AR 27a, S. 404) vorsieht, dass die maximale Bitrate in 8 Bits binärko-diert ist und je nach Codierung einen Bereich von Bit-Werten angibt, z.B. zwi-schen 1 und 63 kbps.
dd) Insoweit unbeanstandet und ohne Rechtsfehler hat das Beru-fungsgericht weiterhin festgestellt, dass die angegriffenen Ausführungsformen den weiteren Teilmerkmalen der Merkmalsgruppe 2a und den weiteren Merk-malen des Anspruchs 12 der im Berufungsverfahren zur Beurteilung stehenden erteilten Fassung entsprechen.
c) Mit dem im Nichtigkeitsverfahren neu hinzugekommenen Teil-merkmal der Verhandlung während des Anrufaufbaus hat sich das Berufungs-gericht nicht befasst. Aus seinen Feststellungen ergibt sich jedoch, dass die angegriffenen Geräte auch insoweit Patentanspruch 12 verwirklichen.
Die Anschlussrevision stellt dies vornehmlich deshalb in Frage, weil sie annimmt, das Klagepatent erfordere eine Verhandlung über die Benutzerdaten-rate eines leitungsvermittelten Anrufs. Da dies, wie ausgeführt, nicht zutrifft, genügt es, dass die Mobilfunkgeräte im Sinne des Klagepatents einen Träger-dienst für paketvermittelte Datenanrufe umfassen, bei dem während des Anruf-aufbaus die erfindungsgemäße Verhandlung über die Benutzerdatenrate mög-lich ist.
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Dass dies der Fall ist, ergibt sich aus den Feststellungen des Berufungs-gerichts zur Verwendung des PDP-Kontextes im Rahmen des in Ab-schnitt 9.2.2.1 des Standarddokuments TS 23.060 beschriebenen Aktivierungs-verfahrens. Es mag sein, dass die Aktivierung des Paketdatenprotokolls auch unabhängig von einem Verbindungsaufbau automatisch im Anschluss an eine Anmeldung beim Netzwerk erfolgen kann. Dies ändert aber nichts daran, dass bei einem zuvor inaktiven PDP-Kontext die Verhandlung beim Anrufaufbau stattfindet.
Soweit die Anschlussrevision anzunehmen scheint, eine mögliche Akti-vierung unabhängig von einem Anrufaufbau stehe im Widerspruch zum Wort-sinn des beschränkten Patentanspruchs 12, da das Patentgericht einen “breiter ausgelegten Gegenstand” als nicht ursprungsoffenbart angesehen habe, geht dies fehl. Der geltende Patentanspruch erfordert lediglich die Möglichkeit einer Verhandlung beim Anrufaufbau, schließt damit jedoch nicht aus, dass eine sol-che in anderen Fällen auch bereits bei der Anmeldung beim Netzwerk erfolgt.
II. Die Annahme des Berufungsgerichts, das auf eine Verurteilung der Beklagten zur Vernichtung sowie zum Rückruf patentverletzender Produkte gerichtete Klagebegehren habe gleichwohl keinen Erfolg, weil insoweit derzeit der kartellrechtliche Zwangslizenzeinwand der Beklagten durchgreife, und auch das Schadensersatz- und Auskunftsbegehren sei deshalb nur in eingeschränk-tem Umfang begründet, hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand.
1. Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung insoweit im Wesentlichen ausgeführt: Die Klägerin verfüge über eine marktbe-herrschende Stellung im Sinne von Art. 102 AEUV. Ein Mobilfunkgerät ohne GPRS-Zugang sei nicht wettbewerbsfähig. Die gerichtliche Geltendmachung der vorgenannten Ansprüche sei nach den Grundsätzen, die der Gerichtshof der Europäischen Union in der Rechtssache Huawei/ZTE aufgestellt habe, eine missbräuchliche Ausnutzung dieser marktbeherrschenden Stellung. Zwar habe die Klägerin ihre sich daraus ergebende Hinweispflicht bereits vorprozessual erfüllt, sie habe jedoch trotz ihrer vorprozessual erklärten und fortbestehenden Lizenzbereitschaft den Beklagten kein FRAND-Angebot unterbreitet.
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Zwar sei die Erklärung der Lizenzwilligkeit erst etwa ein Jahr nach der erstmaligen Verletzungsanzeige der Klägerin erfolgt. Dies sei jedoch unschäd-lich. Der nicht fristgerechte Vollzug eines notwendigen Schrittes einer Partei ziehe keine materielle Präklusion nach sich, der betreffende Schritt könne je-denfalls noch vor Klageerhebung nachgeholt werden. Es seien in der Folgezeit auch keine Umstände zutage getreten, die Anlass zur Annahme gäben, die Li-zenzwilligkeit der Beklagten oder ihrer Konzernmutter sei zwischenzeitlich wie-der weggefallen.
Die von der Klägerin gemachten Angebote stellten eine evidente Diskri-minierung der Beklagten dar. Die Klägerin behandele die Beklagten mit ihren Lizenzangeboten gegenüber einem ihrer Lizenznehmer, einem staatlichen chinesischen Unternehmen, im Hinblick auf die Höhe der Lizenzgebühren ohne triftigen sachlichen Grund ungleich. Im Verhältnis zu dem Standardlizenzver-trag, den die Klägerin auf ihrer Internetseite veröffentliche, sähen die Lizenzan-gebote für die Beklagten weder für die Vergangenheit noch für die Zukunft ei-nen Rabatt vor. Dagegen sehe der Drittlizenzvertrag einen Rabatt im Vergleich zum Standardlizenzvertrag vor, der dazu führe, dass die Beklagten um ein Viel-faches höhere Lizenzgebühren für die Vergangenheit und für die Zukunft ent-richteten. Die immens hohen Unterschiede seien weder als branchenübliche Mengenrabatte noch wegen des Einflusses der chinesischen Behörden auf das Zustandekommen des Drittlizenzvertrags sachlich gerechtfertigt. Weitere Be-sonderheiten wie die Eigenschaft des Drittlizenznehmers als Referenzkunde, die besondere Risikoverteilung im Pauschallizenzvertrag sowie die abweichen-de prozessuale Situation im Hinblick auf die Erfolgsaussichten bei der Durch-setzung des Klagepatents könnten weder für sich betrachtet noch bei der gebo-tenen Gesamtbetrachtung jedenfalls die Höhe des eingeräumten Rabattes rechtfertigen. Die Klägerin könne sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass die Beklagten kein Interesse an der Vereinbarung eines Lizenzvertrages auf der Basis von Pauschalzahlungen gezeigt hätten. Hinreichende Anhaltspunkte da-für, dass die Beklagten Pauschalzahlungen generell ablehnten, gebe es nicht. Auf die Frage, ob die Gegenangebote der Beklagten FRAND-Bedingungen ent-sprächen, komme es mangels eines FRAND-Angebots der Klägerin nicht an.
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Demgegenüber bleibe die Durchsetzbarkeit der Ansprüche auf Auskunft und Rechnungslegung sowie Schadensersatz dem Grunde nach unberührt. Der zu leistende Schadensersatz sei der Höhe nach allerdings auf das beschränkt, was sich in Anwendung der Lizenzanalogie ergebe. Solange der Lizenzsucher seinerseits seinen Obliegenheiten nachkomme, schulde er der Höhe nach nur Schadensersatz auf der Basis einer FRAND-Lizenzgebühr. Daher müsse auch die Rechnungslegung bloß solche Daten umfassen, die für die Schadensermitt-lung gemäß dieser Methodik notwendig seien. Angaben zu Kosten und Gewinn seien hierfür nicht erforderlich; auch insoweit sei die Klage derzeit unbegründet.
2. Zu Recht wendet sich die Revision gegen die Annahme des Beru-fungsgerichts, der Klägerin falle der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung gemäß Art. 102 AEUV zur Last.
a) Ohne Erfolg greift die Revision allerdings die Bejahung der Norm-adressateneigenschaft der Klägerin nach Art. 102 AEUV durch das Berufungs-gericht an.
aa) Während der Schutzdauer des Klagepatents verfügte die Klägerin über eine aus diesem abgeleitete marktbeherrschende Stellung.
(1) Zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass mit der beherrschenden Stellung im Sinne von Art. 102 AEUV die wirtschaftliche Machtstellung eines Unternehmens gemeint ist, die dieses in die Lage versetzt, die Aufrechterhaltung eines wirksamen Wettbewerbs auf dem relevanten Markt zu verhindern, indem sie ihm die Möglichkeit verschafft, sich seinen Wettbe-werbern und Kunden gegenüber in einem nennenswerten Umfang unabhängig zu verhalten (EuGH, Urteil vom 14. Februar 1978, Rs. 27/76, Slg. 1978, 207 Rn. 63/66 = NJW 1978, 2439, 2440 – United Brands/Kommission; Urteil vom 19. April 2012 – C-549/10 P, WRP 2012, 680 Rn. 38 – Tomra; BGH, Beschluss vom 16. Januar 2007 – KVR 12/06, BGHZ 170, 299 Rn. 19 – National Geogra-phic II; Urteil vom 24. Januar 2017 – KZR 47/14, WRP 2017, 563 Rn. 25 – VBL- Gegenwert II).
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(2) Wie das Berufungsgericht nicht verkannt hat, folgt die marktbe-herrschende Stellung der Klägerin nicht bereits aus dem Umstand, dass sie kraft des ihr verliehenen Ausschließlichkeitsrechts jeden Dritten von der Benut-zung der technischen Lehre des Klagepatents ausschließen konnte. Die dem Inhaber eines Immaterialgüterrechts zustehenden Ausschließlichkeitsrechte können alleine die marktbeherrschende Stellung nicht begründen (EuGH, Urteil vom 6. April 1995 – C-241/91, Slg. 1995, I-743 = EuZW 1995, 339 Rn. 46 – Magill TV Guide; BGH, Urteil vom 13. Juli 2004 – KZR 40/02, BGHZ 160, 67, 74 – Standard-Spundfass).
(3) Eine beherrschende Stellung ergibt sich im allgemeinen aus dem Zusammentreffen mehrerer Faktoren, die jeweils für sich genommen nicht aus-schlaggebend sein müssen (EuGH, NJW 1978, 2439, 2440 – United Brands/Kommission). Dabei kommt der Bestimmung des betroffenen Marktes wesentliche Bedeutung zu (EuGH, Urteil vom 26. November 1998 – C-7/97, Slg. 1998, I-7791 = WRP 1999, 167 Rn. 32 – Oscar Bronner/Mediaprint; BGHZ 160, 67, 73 – Standard-Spundfass). Die Bestimmung eines relevanten Angebotsmarkts folgt grundsätzlich dem Bedarfsmarktkonzept. Danach umfasst der relevante Erzeugnis- oder Dienstleistungsmarkt alle Erzeugnisse oder Dienstleistungen, die sich aufgrund ihrer Merkmale zur Befriedigung eines gleichbleibenden Bedarfs besonders eignen und mit anderen Erzeugnissen o-der Dienstleistungen nur in geringem Maße austauschbar sind (vgl. EuGH, Slg. 1998, I-7791 Rn. 33 – Oscar Bronner/Mediaprint; BGHZ 160, 67, 73 f. – Standard-Spundfass). Ist durch eine Industrienorm (wie hier) oder durch ein anderes, von den Nachfragern wie eine Norm beachtetes Regelwerk (De-facto-Standard) eine standardisierte, durch Schutzrechte geschützte Gestaltung ei-nes – aus der Sicht der Marktgegenseite nicht durch ein anderes Produkt substi-tuierbaren – Produkts vorgegeben, bildet die Vergabe von Rechten, die potenzi-elle Anbieter dieses Produkts erst in die Lage versetzen, es auf den Markt zu bringen, regelmäßig einen eigenen, dem Produktmarkt vorgelagerten Markt (BGHZ 160, 67, 74 – Standard-Spundfass; vgl. EuGH, Urteil vom 29. April 2004 – C-418/01, Slg. 2004, I-5039 = WRP 2004, 717 Rn. 44 – IMS Health).
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(4) Die Annahme eines solchen eigenständigen Lizenzmarkts bedarf damit zunächst der Feststellung, dass es sich um ein standardessentielles Pa-tent handelt, also die Benutzung der patentgeschützten Lehre für die Umset-zung eines (von einer Standardisierungsorganisation normierten oder auf dem Markt durchgesetzten) Standards unerlässlich ist (BGHZ 160, 67, 74 – Standard-Spundfass), so dass es in der Regel technisch nicht möglich ist, die-se zu umgehen, ohne für den Produktmarkt wichtige Funktionen einzubüßen (vgl. EuGH, WRP 2015, 2783 Rn. 49 – Huawei/ZTE; Europäische Kommission, Beschluss vom 29. April 2014 – C (2014) 2892 Rn. 52 – Motorola). Darüber hin-aus ist Voraussetzung für einen eigenständigen Lizenzmarkt, dass die dem Pa-tent und dem Standard entsprechende technische Lehre nicht durch eine ande-re technische Gestaltung des Produkts substituierbar ist (vgl. EuGH, Slg. 2004, I-5039 Rn. 28 – IMS Health; BGHZ 160, 67, 74 – Standard-Spundfass).
(5) Bei dem Klagepatent handelt es sich um ein standardessentielles Patent. Wie ausgeführt (Rn. 36 ff.), macht eine Mobilstation, die den Vorgaben des GPRS-Standards entspricht, notwendig von den Merkmalen des An-spruchs 12 des Klagepatents Gebrauch. Die Vorgaben sind, wie das Beru-fungsgericht von den Parteien unbeanstandet festgestellt hat, zwingend. Maß-geblich ist damit, dass die Benutzung der patentgemäßen technischen Lehre nicht durch eine andere technische Gestaltung der Mobilstationen substituierbar ist (vgl. BGHZ 160, 67, 74 – Standard-Spundfass). Nach den nicht beanstande-ten Feststellungen des Berufungsgerichts ist ferner die Einhaltung des GPRS-Standards für jedes Mobilfunkgerät zwingend. Ein Ausweichen auf eine andere Technologie, insbesondere auf die Vorgängerversion von GPRS (GSM) oder auf die Nachfolgestandards (UMTS oder LTE), ist nicht möglich, da die Vorgän-gerversion keine schnelle, konkurrenzfähige Datenübertragung zur Verfügung stellt und eine ausreichende Netzabdeckung für die Nachfolgestandards nicht immer gewährleistet ist. Ein Mobilfunkgerät ohne GPRS ist nach alledem nicht wettbewerbs-fähig, und ein dem Standard entsprechendes Gerät ist mithin aus der Sicht der Marktgegenseite nicht durch ein nicht dem Standard entsprechen-des Mobiltelefon substituierbar.
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Dies gilt nach den unbeanstandet gebliebenen Feststellungen des Beru-fungsgerichts insbesondere auch für die hier in Rede stehende Technologie. Mobilgeräte, die eine Verhandlung über die Datenrate im Sinne des Klagepa-tents nicht ermöglichen, benötigen danach eine Vielzahl von Trägerdiensten. Die zur Verfügung stehenden höheren Übertragungsgeschwindigkeiten können auf diese Weise nicht genutzt werden, so dass Mobilgeräte ohne die standard-essentielle und patentgemäße Technologie im Vergleich mit Mobilgeräten mit dieser Technologie zu langsam sind.
bb) Das Berufungsgericht hat nicht verkannt, dass trotz der durch den Standard vermittelten Zugangssperre – und der sich daraus ergebenden Mono-polstellung auf dem hier relevanten Lizenzvergabemarkt – außergewöhnliche Gründe vorliegen können, die die Marktbeherrschung des Inhabers eines stan-dardessentiellen Patents ausschließen können (vgl. England and Wales Court of Appeal, Urteil vom 23. Oktober 2018, [2018] EWCA Civ 2344 Rn. 225 f. – Unwired Planet v Huawei; Meyer in: 80 Jahre Patentgerichtsbarkeit in Düssel-dorf, S. 377, 389). Es hat jedoch weder dem Vorbringen der Parteien noch den Umständen des Falles Anhaltspunkte dafür entnehmen können. Dagegen wen-det sich die Revision ohne Erfolg mit der Rüge, das Berufungsgericht habe ver-kannt, dass eine erhebliche Gegenmacht der Patentbenutzer die Marktmacht beschränke.
(1) Maßgeblich für die Frage, ob eine marktbeherrschende Stellung der Klägerin bejaht werden kann, ist nicht ihre Verhandlungsmacht gegenüber einer bestimmten Partei, sondern die wirtschaftliche Macht, die das Klagepatent der Klägerin gegenüber dem gesamten Markt verleiht. Entgegen der Auffas-sung der Revision ist die Marktmacht bei der Vergabe von Patentlizenzen damit nicht relativ, nämlich im Hinblick auf die Stärkeverhältnisse zwischen einem konkreten Nachfrager der Lizenz und dem Patentinhaber, zu bestimmen.
(a) Es trifft zwar zu, dass sich die Struktur des Nachfragemarktes nach Patentlizenzen von solchen für Güter und Dienstleistungen unterscheidet. Denn während bei letzterem der Nachfrager auf einen Vertragsschluss mit dem marktmächtigen Anbieter angewiesen ist, um Zugang zu den Gütern und Dienstleistungen zu haben, ist es dem Patentnutzer auch ohne eine Einigung mit dem
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(b)
Patentinhaber möglich, die im Patent und im Standard offengelegte patentge-mäße Lehre zu benutzen. Daraus folgt jedoch entgegen der Auffassung der Klägerin nicht, dass Marktmacht des Inhabers eines standardessentiellen Pa-tents nur dann vorliegen kann, wenn das Risiko einer gerichtlichen Inanspruch-nahme eines Verletzers so hoch ist, dass dieser typischerweise zum Abschluss eines Lizenzvertrages zu Bedingungen bereit ist, die wesentlich ungünstiger sind, als dies unter Marktbedingungen der Fall wäre. Denn die strukturell über-legene Machtposition des Patentinhabers ergibt sich nicht aus seiner Verhand-lungsmacht bei dem Aushandeln von Lizenzkonditionen, sondern aus der recht-lichen Möglichkeit, von Dritten zu verlangen, dass keine erfindungsgemäßen Produkte auf den Markt gebracht werden oder auf dem Markt bleiben, dies not-falls durch eine Klage auf Unterlassung, Rückruf der Produkte und Vernichtung zu verhindern und so sich (oder einem Lizenznehmer) die Herstellung dieser Produkte vorzubehalten (vgl. EuGH, WRP 2015, 1080 Rn. 52 – Huawei/ZTE). Eine Marktzugangsschranke ergibt sich bereits daraus, dass es jedem Unter-nehmen wegen dieser rechtlichen Hindernisse unzumutbar ist, ohne eine vorhe-rige Lizenzierung auf dem Markt tätig zu sein (vgl. EuGH, Urteil vom 29. April 2004 – C-418/01, Slg. 2004, I-5039 = WRP 2004, 717 Rn. 28 – IMS Health).
(b) Es liegt zwar auf der Hand, dass die Beschränkung der sich aus der Patentverletzung ergebenden Ansprüche des Inhabers eines standardes-sentiellen Patents dessen Verhandlungsposition erheblich schwächt, da ihm das für gleichberechtigte Lizenzverhandlungen notwendige Druckmittel nur ein-geschränkt zur Verfügung steht. Dies kann sich insbesondere in Fällen auswir-ken, in denen der Verletzer versucht, den Abschluss von Verhandlungen so lange hinauszuzögern, bis das Patent abgelaufen ist (“patent hold-out” oder “reverse patent hold-up”, vgl. Schlussanträge des Generalanwalts Wathelet vom 20. November 2014 – C-170/13, juris Rn. 42). Dies vermag die marktbe-herrschende Stellung des Patentinhabers jedoch nicht grundsätzlich in Frage zu stellen, sondern ist (erst) bei der Beurteilung der Missbräuchlichkeit der gericht-lichen Geltendmachung des Patents bei der – stets notwendigen – Abwägung der beiderseitigen Interessen zu berücksichtigen. Denn erst die Beurteilung des Verhaltens eines Patentinhabers als Missbrauch legitimiert die Einschränkung seiner Rechte und führt zur Beschränkung der Durchsetzbarkeit eines Patents.
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(2) Die marktbeherrschende Stellung des Inhabers eines standardes-sentiellen Patents besteht allerdings lediglich, soweit und solange dieser auf-grund seiner Rechtsposition verhindern kann, dass patentgemäße Produkte auf den Markt gelangen oder auf dem Markt bleiben (EuGH, WRP 2015, 1080 Rn. 52 – Huawei/ZTE). Diese Rechtsposition entfällt regelmäßig nach Ablauf der Schutzdauer des jeweiligen Patents, da in die Zukunft gerichtete Ansprüche gegen Patentverletzer ausscheiden. Zwar führt der Ablauf der Schutzdauer nur im Falle der Unverhältnismäßigkeit im Sinne des § 140a Abs. 4 PatG zum voll-ständigen Wegfall der Ansprüche auf Vernichtung und Rückruf gemäß § 140a Abs. 1, 3 PatG. Andernfalls sind die Ansprüche auf solche Erzeugnisse be-schränkt, die der Verletzer bis dahin in Besitz oder Eigentum hatte bzw. die bis dahin hergestellt und geliefert wurden (Grabinski/Zülch, in: Benkard, Patentge-setz, 11. Aufl., § 140a PatG Rn. 9, 16; Kühnen, GRUR 2009, 288, 291). Dies folgt daraus, dass der Zweck der genannten Ansprüche sich nicht auf die Besei-tigung der Folgen einer (fortdauernden) Patentverletzung beschränkt, sondern § 140a PatG selbständige Ansprüche begründet, die auch eine general- und spezialpräventive Abschreckungswirkung entfalten sowie Sanktionscharakter haben sollen (Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung der Produktpiraterie, BT-Drucks. 11/4792, 27 f.; Kühnen, GRUR 2009, 288, 292). Jedoch kann der Patentinhaber nach Fortfall des Schutzrechts nicht mehr generell verhindern, dass erfindungsgemäße Produkte auf den Markt gebracht werden. Damit ent-fällt die strukturell überlegene Machtposition des Patentinhabers.
cc) Die marktbeherrschende Stellung muss – wie auch das Beru-fungsgericht nicht verkannt hat – gemäß Art. 102 AEUV auf dem Binnenmarkt insgesamt oder zumindest auf einem wesentlichen Teil desselben bestehen. Hierfür genügt die vom Berufungsgericht zutreffend festgestellte Marktbeherr-schung auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland als einem wesentli-chen Teil des Binnenmarkts (vgl. EuGH, Urteil vom 9. November 1983 – Rs. 322/81, Slg. 1984, 3461 Rn. 103 – Michelin/Niederlande; Urteil vom 26. November 1998 – C-7/97, WRP 1999, 167 Rn. 36 – Oscar Bron-ner/Mediaprint).
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b) Die vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen rechtfertigen indes nicht die Annahme, die Klägerin habe diese marktbeherrschende Stellung missbraucht.
aa) Die Klage eines marktbeherrschenden Patentinhabers, welcher sich gegenüber einer Standardisierungsorganisation verpflichtet hat, Lizenzen zu FRAND-Bedingungen zu erteilen, kann einen Missbrauch seiner marktbe-herrschenden Stellung darstellen, wenn und soweit sie geeignet ist zu verhin-dern, dass dem Standard entsprechende Produkte auf den Markt gelangen o-der auf dem Markt erhältlich bleiben (EuGH, WRP 2015, 1080 Rn. 54 ff. – Hua-wei/ZTE; BGHZ 180, 312 Rn. 22 ff. – Orange-Book-Standard). Missbräuchlich können danach Klageanträge sein, die auf Unterlassung (BGHZ 180, 312 Rn. 22 – Orange-Book-Standard), Rückruf und Entfernung von Produkten aus den Vertriebswegen (EuGH, WRP 2015, 1080 Rn. 73 – Huawei/ZTE) oder auf Ver-nichtung (OLG Düsseldorf, GRUR 2017, 1219 Rn. 220; OLG Karlsruhe, GRUR 2020, 166 Rn. 87) gerichtet sind.
(1) Auch dem Inhaber eines standardessentiellen Patents ist es je-doch nicht schlechthin untersagt, sein Patent durch die Geltendmachung von Unterlassungs- und anderen Ansprüchen auf dem Produktmarkt durchzusetzen (EuGH, WRP 2015, 1080 Rn. 46 – Huawei/ZTE). Denn die Standardessentialität ändert nichts daran, dass der Patentinhaber die Benutzung seines Patents nur dann dulden muss, wenn er demjenigen, der von dessen technischer Lehre Gebrauch macht, dies entweder gestattet hat oder aber bei Beachtung seiner Verpflichtung, seine Marktmacht nicht zu missbrauchen, jedenfalls gestatten muss (vgl. EuGH, WRP 2015, 1080 Rn. 53, 58 – Huawei/ZTE).
(2) Die Verpflichtung zur Lizenzierung setzt wiederum voraus, dass auch derjenige, der das Patent benutzen will oder bereits benutzt und patent-gemäße Produkte bereits auf den Markt gebracht hat, obwohl er über keine Li-zenz verfügt, bereit ist, eine Lizenz an diesem Patent zu angemessenen und nicht-diskriminierenden Bedingungen zu nehmen (EuGH, WRP 2015, 1080 Rn. 54 – Huawei/ZTE; BGHZ 180, 312 Rn. 27 – Orange-Book-Standard). Denn auch der marktmächtige Patentinhaber muss die Lizenznahme niemandem aufdrän-gen
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und hat hierfür auch keine rechtliche Handhabe, da zwar der potentielle Lizenz-nehmer von ihm den Abschluss eines Lizenzvertrages verlangen kann, dem Patentinhaber umgekehrt aber ein solcher Anspruch nicht zusteht, er vielmehr darauf verwiesen ist, Ansprüche wegen einer Patentverletzung gegen denjeni-gen durchzusetzen, der zwar die erfindungsgemäße Lehre benutzen, einen Li-zenzvertrag hierüber aber nicht abschließen will.
(3) Einen Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung stellt es deshalb dar, wenn der Patentinhaber Ansprüche auf Unterlassung, Vernichtung und Rückruf von Produkten geltend macht, obwohl der Verletzer ihm ein unbe-dingtes Angebot auf Abschluss eines Lizenzvertrags zu Bedingungen gemacht hat, die der Patentinhaber nicht ablehnen darf, ohne gegen das Missbrauchs- oder das Diskriminierungsverbot zu verstoßen (BGHZ 180, 312 Rn. 27, 29 – Orange-Book-Standard).
(4) Darüber hinaus kann sich die klageweise Geltendmachung derar-tiger Ansprüche aber auch dann als missbräuchlich darstellen, wenn der Verlet-zer sich zwar (noch) nicht zum Abschluss eines Lizenzvertrages zu bestimmten angemessenen Bedingungen bereitgefunden hat, dem Patentinhaber aber an-zulasten ist, dass er sich seinerseits nicht hinreichend bemüht hat, der mit der marktbeherrschenden Stellung verbundenen besonderen Verantwortung ge-recht zu werden und einem grundsätzlich lizenzwilligen Verletzer den Abschluss eines Lizenzvertrages zu angemessenen Bedingungen möglich zu machen (vgl. EuGH, WRP 2015, 1080 Rn. 54 ff. – Huawei/ZTE).
(a) Daraus folgt, dass der Patentinhaber den Verletzer zunächst auf die Verletzung des Klagepatents hinzuweisen hat, wenn dieser sich nicht be-wusst ist, mit der Implementierung einer vom Standard geforderten technischen Lösung rechtswidrig von der Lehre des Klagepatents Gebrauch zu machen (EuGH, WRP 2015, 1080 Rn. 60-62 – Huawei/ZTE).
Zwar ist es grundsätzlich Sache des Verletzers, sich vor Aufnahme der Herstellung oder des Vertriebs eines technischen Erzeugnisses zu vergewis-sern, dass hiermit keine technischen Schutzrechte Dritter verletzt werden (BGH, Urteil
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vom 19. Dezember 2000 – X ZR 150/98, GRUR 2001, 323, 327 – Temperaturwächter). Angesichts der Vielzahl von Patenten, von denen insbe-sondere im Bereich der Informations- und Telekommunikationstechnik ein Pro-dukt betroffen sein kann, ist es aber regelmäßig mit erheblichen Schwierigkei-ten verbunden, sich einen vollständigen und zuverlässigen Überblick über sämt-liche relevanten Schutzrechte zu verschaffen, zumal dies im Einzelfall eine ge-nauere Befassung mit Gegenstand und Schutzbereich einer Vielzahl von Paten-ten erfordern kann (vgl. EuGH, WRP 2015, 1080 Rn. 62 – Huawei/ZTE). Der Patentinhaber, der den (vermeintlichen) Verletzer wegen einer Patentverletzung in Anspruch nehmen will, hat demgegenüber den Verletzungsvorwurf bereits geprüft. Zudem darf der Hersteller eines standardkompatiblen Produkts erwar-ten, dass er – wenn auch nur auf der Grundlage eines Lizenzvertrages zu an-gemessenen Bedingungen – die Lehre eines standardessentiellen Patents oh-nehin benutzen darf (EuGH, WRP 2015, 1080 Rn. 53, 64 – Huawei/ZTE). Der marktbeherrschende Patentinhaber darf daher den Verletzer, der sich der Ver-letzung nicht bewusst ist, nicht auf Unterlassung in Anspruch nehmen, ohne ihn auf die Verletzung des Klagepatents hinzuweisen und ihm damit Gelegenheit zu geben, seinen Anspruch auf Abschluss eines Lizenzvertrages zu angemesse-nen Bedingungen geltend zu machen und damit die Durchsetzung des Unter-lassungsanspruchs des Patentinhabers abzuwenden (vgl. EuGH, WRP 2015, 1080 Rn. 71 – Huawei/ZTE).
(b) Ferner kann es dem marktbeherrschenden Patentinhaber unter-sagt sein, den über die Verletzung des Klagepatents unterrichteten Verletzer aus diesem Patent auf Unterlassung in Anspruch zu nehmen, wenn dieser zwar erklärt hat, eine Lizenz am Klagepatent nehmen zu wollen, aber nicht oder je-denfalls nicht ohne weiteres in der Lage ist, von sich aus die Bedingungen zu formulieren, die ihm der Patentinhaber unter Beachtung des ihn treffenden Dis-kriminierungs- und Behinderungsverbots einräumen muss (vgl. EuGH, WRP 2015, 1080 Rn. 63 f. – Huawei/ZTE).
Zwar ist es grundsätzlich Sache des lizenzwilligen Unternehmens, gegen eine Lizenzforderung des Patentinhabers einzuwenden, diese verletze das Dis-kriminierungs- oder das Behinderungsverbot. Es gelten insoweit die Grundsätze
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zur Darlegungs- und Beweislast im Prozess auch für die außergerichtlichen Verhaltenspflichten der Parteien. Die Darlegungs- und Beweislast für eine Un-gleichbehandlung und eine Behinderung trägt auch im Prozess der Lizenzsu-cher, während den Patentinhaber eine primäre Darlegungs- und Beweislast für einen sachlichen Grund einer Ungleichbehandlung trifft (Art. 2 VO 1/2003). Wie bei einer prozessualen sekundären Darlegungslast kann aber den Patentinha-ber die Verpflichtung treffen, seine Lizenzforderung im Einzelnen zu begründen, um dem Lizenzwilligen eine Überprüfung zu ermöglichen, ob die Lizenzforde-rung wegen der Höhe des Lizenzsatzes oder anderer Bedingungen der angebo-tenen Benutzungsgestattung einen Missbrauch der marktbeherrschenden Stel-lung darstellt. Denn andernfalls wäre das lizenzwillige Unternehmen gezwun-gen, entweder das Risiko einzugehen, auf die Patentverletzungsklage des Pa-tentinhabers zur Unterlassung verurteilt zu werden, oder aber eine jedenfalls potentiell missbräuchlich überhöhte Lizenzgebührenforderung oder sonst poten-tiell missbräuchliche Vertragsbedingungen akzeptieren zu müssen, um das Ri-siko einer Verurteilung zur Unterlassung sicher auszuschließen.
Die Verpflichtung des marktbeherrschenden Patentinhabers zur Erläute-rung und Begründung der von ihm als fair, angemessen und nicht-diskriminierend (FRAND) angesehenen Lizenzbedingungen ist nicht nur, aber insbesondere dann von Bedeutung, wenn der Patentinhaber nicht bereit ist, eine Lizenz nur an demjenigen Patent einzuräumen, das er notfalls klageweise geltend machen will, sondern die Benutzung dieses Patents nur im Rahmen einer Portfoliolizenz oder eines sonstigen, weitere Schutzrechte umfassenden Lizenzvertrages gestatten will.
Eine solche Verknüpfung mit weiteren Schutzrechten ist jedenfalls inso-weit grundsätzlich kartellrechtlich unbedenklich, als sie nicht mit Forderungen verbunden ist, die den Lizenznehmer zu Zahlungen für die Benutzung nicht-standardessentieller Patente verpflichtet, und die Vergütung so berechnet wird, dass Anwender, die ein Produkt für ein spezifisches, geografisch begrenztes Gebiet entwickeln möchten, nicht benachteiligt werden (vgl. Mitteilung der Eu-ropäischen Kommission über den Umgang der EU mit standardessentiellen Pa-tenten vom 29. November 2017, COM[2017] 712 final S. 9). Denn auch der marktbeherrschende Patentinhaber muss sich nicht darauf einlassen, dass der
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Verletzer zur Abwehr einer Unterlassungsklage eine Lizenz nur an dem Klage-patent, nicht aber an den weiteren Patenten nehmen will, die er zur rechtmäßi-gen Herstellung oder zum rechtmäßigen Vertrieb eines dem Standard entspre-chenden Produktes ebenso benötigt. Verhandlungen über weltweite Portfolioli-zenzen sind deshalb üblich und kommen unter Effizienzgesichtspunkten auch dem Nutzer der lizenzierten Schutzrechte zugute (Mitteilung der Europäischen Kommission vom 29. November 2017, COM[2017] 712 final S. 9). Gleichzeitig erhöht jedoch die Einbeziehung einer gegebenenfalls großen Zahl weiterer Pa-tente die Komplexität des Sachverhalts, der für die Prüfung von Bedeutung ist, ob die vom Patentinhaber verlangten Vertragsbedingungen in Einklang mit den Verpflichtungen stehen, die sich aus seiner marktbeherrschenden Stellung er-geben. Der Patentinhaber muss daher auch insoweit dem lizenzwilligen Verlet-zer hinreichende Informationen zur Verfügung stellen.
(c) In welchem Umfang, in welchem Detaillierungsgrad und zu wel-chem Zeitpunkt die von dem Patentinhaber zu fordernden Informationen gebo-ten sind, ist eine Frage des Einzelfalls und hängt insbesondere auch von der jeweiligen Reaktion des Verletzers ab (vgl. EuGH, WRP 2015, 1080 Rn. 65 ff. – Huawei/ZTE).
Da die dem marktbeherrschenden Patentinhaber auferlegten besonderen Verhaltenspflichten es dem Verletzer ermöglichen sollen, durch den Abschluss eines Lizenzvertrages zu FRAND-Bedingungen das Patent rechtmäßig benut-zen und damit die Geltendmachung eines Unterlassungsanspruchs abwenden zu können, unterscheiden sich die Verpflichtungen des Patentinhabers jeden-falls nicht zugunsten des Verletzers von denjenigen, die den Patentinhaber auch sonst kraft seiner marktbeherrschenden Stellung gegenüber einem li-zenzwilligen Unternehmen treffen. Andernfalls könnte sich der Verletzer dadurch, dass er das Patent in Benutzung nimmt, ohne einen Lizenzvertrag abzuschließen, einen Vorteil im Wettbewerb gegenüber denjenigen Unterneh-men verschaffen, die das Patent auf der Grundlage eines Lizenzvertrages zu angemessenen und nicht-diskriminierenden Bedingungen benutzen oder be-nutzen wollen.
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Was im Einzelfall angemessene und nicht-diskriminierende Bedingungen eines Lizenzvertrages sind, hängt regelmäßig von einer Vielzahl von Umstän-den ab. Wie auch in anderen Fällen eines (möglichen) Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung ist der marktbeherrschende Patentinhaber nicht grundsätzlich verpflichtet, Lizenzen nach Art eines “Einheitstarifs” zu vergeben, der allen Nutzern gleiche Bedingungen einräumt (BGHZ 160, 67, 78 – Standardspundfass). Eine solche Verpflichtung ergibt sich auch nicht aus der FRAND-Selbstverpflichtungserklärung. Diese dient der Gewährleistung eines tatsächlichen Zugangs zur Standardisierungsnorm (vgl. Europäische Kommis-sion, Horizontalleitlinie, ABl. EU C 11, 1 Rn. 285, 287). Diesem Zweck ist im Hinblick auf das Diskriminierungsverbot Genüge getan, wenn die in Art. 102 Abs. 2 Buchst. c AEUV bzw. § 19 Abs. 2 Nr. 3 GWB normierten besonderen Diskriminierungsverbote beachtet werden. Das Verbot der Diskriminierung zweiten Grades, also der Diskriminierung der Handelspartner eines marktbe-herrschenden Unternehmens auf dem vor- bzw. (hier) nachgelagerten Markt (Schlussanträge des Generalanwalts Wahl vom 20. Dezember 2017- C-525/16, juris Rn. 74), schützt davor, dass durch diskriminierende Bedingungen der Wettbewerb zwischen den Handelspartnern verfälscht wird (EuGH, Urteil vom 19. April 2018 – C-525/16, WuW 2018, 321 Rn. 24 – MEO; BGHZ 160, 67, 79 – Standard-Spundfass; BGH, Urteil vom 12. April 2016 – KZR 30/14, NZKart 2016, 374 Rn. 48 – NetCologne). Die kartellrechtliche Bindung und Ein-grenzung des Verhaltensspielraums des Marktbeherrschers im Vertikalverhält-nis zielt darüber hinaus auf die Ermöglichung von Verhandlungsergebnissen, die durch die Marktbeherrschung nicht beeinflusst sind und den Interessen bei-der Vertragsparteien in ausgewogenem Ausmaß Rechnung tragen. Da ange-messene Bedingungen für ein Vertragsverhältnis, insbesondere ein angemes-sener Preis, regelmäßig nicht objektiv feststehen, sondern nur als Ergebnis (gegebenenfalls ähnlicher) ausgehandelter Marktprozesse erfassbar sind, kommt der ernsthaften und zielgerichteten Mitwirkung des lizenzwilligen Unter-nehmens an der Aushandlung angemessener Vertragsbedingungen entschei-dende Bedeutung zu (vgl. EuGH, WRP 2015, 1080 Rn. 65-68 – Huawei/ZTE).
Dies ist insbesondere bei der Prüfung der Frage zu beachten, ob der aus einem Patent klageweise in Anspruch genommene Verletzer sich darauf beru-fen
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kann, der Patentinhaber habe ihm keine Lizenznahme zu FRAND-Bedingungen ermöglicht. Denn anders als bei Vertragsverhandlungen, die ein lizenzwilliges Unternehmen vor Benutzungsaufnahme anstrebt, kann das Interesse des Ver-letzers auch – allein oder jedenfalls in erster Linie – darauf gerichtet sein, den Patentinhaber möglichst bis zum Ablauf der Schutzdauer des Klagepatents hin-zuhalten, weil ihm dann keine Verurteilung zur Unterlassung mehr droht (vgl. EuGH, WRP 2015, 1080 Rn. 65 – Huawei/ZTE). Ein solches Verhalten ist wirt-schaftlich noch attraktiver, wenn die Lizenzierung einer Mehrzahl von Patenten oder eines Patentportfolios in Rede steht, der Patentinhaber indessen nach Ab-lauf des Klagepatents nur Schadensersatz für die Benutzung eben dieses Patents erhält.
Die Verpflichtung des marktbeherrschenden Patentinhabers, den Verlet-zer auf den Verletzungstatbestand und die Möglichkeit einer Lizenznahme hin-zuweisen und dem lizenzwilligen Verletzer ein Lizenzangebot zu machen, ist kein Selbstzweck, sondern soll es diesem erleichtern, für seine Benutzungs-handlungen angemessene Bedingungen mit dem Patentinhaber auszuhandeln. Daher genügt es nach dem ersten Hinweis zur Begründung weiterer Verpflich-tungen des marktbeherrschenden Patentinhabers nicht, wenn der Verletzer sich daraufhin lediglich bereit zeigt, den Abschluss eines Lizenzvertrages zu erwä-gen oder in Verhandlungen darüber einzutreten, ob und unter welchen Voraus-setzungen ein Vertragsschluss für ihn in Betracht komme (vgl. Schlussanträge des Generalanwalts Wathelet vom 20. November 2014 – C-170/13 Rn. 50). Vielmehr muss der Verletzer sich seinerseits klar und eindeutig bereit erklären, mit dem Patentinhaber einen Lizenzvertrag zu angemessenen und nicht-diskriminierenden Bedingungen abzuschließen, und muss auch in der Folge zielgerichtet an den Lizenzvertragsverhandlungen mitwirken. Der High Court von England und Wales (J. Birss) hat dies treffend dahin ausgedrückt, dass “a willing licensee must be one willing to take a FRAND licence on whatever terms are in fact FRAND” (EWHC, Urteil vom 5. April 2017, [2017] EWHC 711 (Pat) Rn. 708 – Unwired Planet v Huawei).
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bb) Danach hat das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei angenommen, dass der Klägerin nicht deshalb ein Missbrauch ihrer marktbeherrschenden Stellung zur Last fällt, weil sie die Beklagte nicht ausreichend über die Verlet-zung des Klagepatents und ihre Bereitschaft, dieses zu FRAND-Bedingungen zu lizenzieren, unterrichtet hätte.
(1) Eine solche Unterrichtung soll den Verletzer auf den Verlet-zungstatbestand und die Möglichkeit und Notwendigkeit einer Lizenznahme aufmerksam machen. Es genügt insoweit, dass das Patent bezeichnet und an-gegeben wird, in welcher konkreten Handlung die Verletzung bestehen soll. Letzteres erfordert – wie das Berufungsgericht zutreffend ausführt – die Be-zeichnung der Art der Verletzungshandlung sowie der angegriffenen Ausfüh-rungsformen. Detaillierter technischer oder rechtlicher Erläuterungen des Ver-letzungsvorwurfs bedarf es nicht; der Verletzer muss nur in die Lage versetzt werden, sich – gegebenenfalls mit sachverständiger Hilfe oder durch Einholung von Rechtsrat – ein Bild von der Berechtigung des Patentverletzungsvorwurfs zu machen. Die in der Praxis verbreitete Darlegung des Verletzungsvorwurfs an-hand von “Claim Charts” ist regelmäßig ausreichend, aber nicht zwingend ge-boten.
(2) Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Verletzungshinweise der Klägerin diesen Anforderungen genügten.
Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts bezeichnete die Kläge-rin in einem Schreiben vom 20. Dezember 2012 sowie zwei weiteren Schreiben aus dem Jahr 2013 an die Muttergesellschaften der Beklagten u.a. das Klage-patent mit seiner Veröffentlichungsnummer und teilte mit, dass die Konzernge-sellschaften durch Herstellung und Verkauf von Mobilfunkgeräten, die u.a. den GSM-Standard implementierten, das Klagepatent verletzten. Dabei hat das Be-rufungsgericht rechtsfehlerfrei angenommen, dass der Hinweis auf den GSM-Standard auch die GPRS-Erweiterung umfasste. Anhaltspunkte dafür, dass es einer weiteren Konkretisierung des Verletzungsvorwurfs im Hinblick auf den betroffenen Abschnitt im Standard bedurfte, sind nicht festgestellt. Im Übrigen darf der Patentinhaber, der das verletzte Patent und den maßgeblichen Stan-dard genannt hat, erwarten, dass der Verletzer innerhalb kurzer Frist mitteilt, wenn ihm diese Angaben zur Identifizierung des Verletzungsvorwurfs nicht ge-
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nügen. Dies gilt auch dann, wenn – wie hier – eine Vielzahl von Patenten und Standards genannt werden.
Mit dem ersten Verletzungshinweis im Schreiben vom 20. Dezember 2012 hat die Klägerin ferner darauf hingewiesen, dass sie Lizenzen zu FRAND-Bedingungen anbietet.
(3) Zu Recht und von der Revisionsbeklagten unbeanstandet hat das Berufungsgericht ferner den Hinweis an die Muttergesellschaften der Beklagten für ausreichend erachtet.
cc) Der revisionsrechtlichen Nachprüfung hält es hingegen nicht stand, dass das Berufungsgericht angenommen hat, die Klägerin missbrauche mit der klageweisen Geltendmachung der (nach Erledigung des Unterlassungs-begehrens durch Ablauf der Schutzdauer des Klagepatents verbliebenen) An-sprüche auf Vernichtung sowie auf Rückruf verletzender Produkte ihre markt-beherrschende Stellung, weil sie den Beklagten keinen Lizenzvertrag zu FRAND-Bedingungen angeboten habe, die den Beklagten angebotenen Ver-tragsbedingungen vielmehr diskriminierend seien. Seine Feststellungen tragen weder die Annahme, die Klägerin sei zur Abgabe eines konkreten Vertragsan-gebots verpflichtet gewesen, weil sich die Beklagten lizenzwillig gezeigt hätten, noch die weitere Annahme, die den Beklagten angebotenen Vertragsbedingun-gen seien diskriminierend.
(1) Zu Unrecht hat das Berufungsgericht angenommen, die Beklagten hätten sich zum Abschluss eines Lizenzvertrages zu FRAND-Bedingungen be-reit erklärt.
Das Berufungsgericht hat richtig gesehen, dass die Erklärung der Be-klagten vom 12. Dezember 2013, mithin also mehr als ein Jahr nach dem ers-ten Verletzungshinweis, schon in zeitlicher Hinsicht den Anforderungen an ei-nen lizenzwilligen Verletzer nicht genügte. Ein Verletzer, der mehrere Monate auf den Verletzungshinweis schweigt, gibt damit regelmäßig zu erkennen, dass ihm an einer Lizenznahme nicht gelegen ist. Entgegen der Auffassung der Be-klagten steht dem nicht entgegen, dass die Klägerin die FRAND-Erklärung erst am 10. April 2013 abgegeben hat. Denn bereits mit dem ersten Verletzungs-
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hinweis im Schreiben vom 20. Dezember 2012 hat die Klägerin darauf hinge-wiesen, dass sie Lizenzen zu FRAND-Bedingungen anbietet.
Das Berufungsgericht hat dennoch eine Lizenzbereitschaft der Beklagten bejaht, da eine außerhalb der von ihm angenommenen Reaktionsfrist, aber vor Klageerhebung abgegebene FRAND-Lizenzbereitschaftserklärung keine mate-rielle Präklusion zur Folge habe, das “außerprozessuale Lizenzierungsprozede-re” vielmehr fortzusetzen und der Patentinhaber wieder verpflichtet sei, dem Verletzer ein Angebot zu FRAND-Bedingungen zu unterbreiten.
Es kann dahinstehen, ob dem beizutreten ist. Mit Erfolg wendet sich die Revision nämlich gegen die Annahme des Berufungsgerichts, die Erklärung vom 12. Dezember 2013 sei eine hinreichende Lizenzbereitschaftserklärung. Auch die weiteren, vom Berufungsgericht festgestellten Äußerungen der Be-klagten und ihrer Muttergesellschaften bringen nicht die ernsthafte Bereitschaft der Beklagten zum Abschluss eines Lizenzvertrages zu FRAND-Bedingungen zum Ausdruck.
(a) Da weitere Feststellungen zu Gunsten der Beklagten nicht zu er-warten sind, kann der Senat die Erklärungen der Beklagten selbst auslegen. Zwar ist die Auslegung von Willenserklärungen im Grundsatz dem Tatrichter vorbehalten. Sie ist jedoch für das Revisionsgericht nicht bindend, wenn sie gesetzliche oder allgemein anerkannte Auslegungsregeln, Denkgesetze oder Erfahrungssätze verletzt (vgl. BGH, Urteil vom 5. Oktober 2006 – III ZR 166/05, MDR 2007, 135). Auch unter Berücksichtigung dieses eingeschränkten Prü-fungsmaßstabs sind die Ausführungen des Berufungsgerichts nicht frei von Rechtsfehlern. Den an die ernsthafte und vorbehaltlose Bereitschaft zu einer Lizenznahme zu FRAND-Bedingungen zu stellenden Anforderungen (oben Rn. 83) genügt das E-Mail-Schreiben des IP-Direktors der Muttergesellschaften der Beklagten vom 17. Dezember 2013 (Anlage AR 39) nicht. Es wird lediglich die Hoffnung geäußert, dass man in eine förmliche Verhandlung eintreten wer-de (“We hope to have a formal negotiation with you”) und um Information über einen in Aussicht gestellten Rabatt gebeten (“You mentioned that there will be a
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discount if we sign the license timely. Please let me know the information such as specific discount amount and the current license royalty arrangement…”). Aus der objektivierten Empfängersicht der Klägerin ließen die Beklagten damit nicht – und erst recht nicht klar und unzweideutig – erkennen, zum Abschluss eines Lizenzvertrages zu FRAND-Bedingungen bereit zu sein.
(b) Die weiteren Schreiben des IP-Direktors der Muttergesellschaften der Beklagten hat das Berufungsgericht nur unter dem Gesichtspunkt geprüft, ob sie Anlass zu der Annahme gäben, die ursprünglich bestehende Lizenzwil-ligkeit sei zwischenzeitlich wieder weggefallen. Da das Schreiben vom 16. Januar 2016 (Anlage AR 51) die Erklärung enthielt, man sei, wenn deutsche Gerichte endgültig eine Verletzung und den Rechtsbestand des Klagepatents sowie eines weiteren, in einem Parallelrechtsstreit zwischen den Parteien gel-tend gemachten Patents festgestellt hätten, bereit, eine FRAND-Lizenz zu nehmen und Lizenzgebühren zu bezahlen, genügte auch diese Erklärung, wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, nicht den Anforderungen. Dies gilt unabhängig von der vom Berufungsgericht nicht geprüften Frage, ob und gegebenenfalls inwieweit die Beklagten eine Lizenzbereitschaft sachlich und geographisch beschränken durften. Denn nach ihrem Schreiben wollten sich die Beklagten nicht nur – zulässigerweise (EuGH, WRP 2015, 1080 Rn. 69 – Huawei/ZTE) – die Möglichkeit vorbehalten, auch im Falle des Zustandekom-mens eines FRAND-Lizenzvertrages die Frage der Benutzung des Klagepa-tents und dessen Rechtsbeständigkeit gerichtlich klären zu lassen, sondern ha-ben die Erklärung der Lizenzbereitschaft selbst nur in bedingter Form abgege-ben. Eine solche bedingte Lizenzbereitschaftserklärung ist unzureichend (BGHZ 180, 312 Rn. 32 – Orange-Book-Standard).
(c) Soweit das Berufungsgericht dem während des Berufungsverfahrens übermittelten Schreiben vom 23. März 2016 (Anlage AR 51) entnimmt, dass die Beklagten weiterhin lizenzwillig gewesen seien, kann wiederum dahinstehen, ob und inwiefern eine nach Klageerhebung (und nach erstinstanzlicher Verurtei-lung) erklärte Lizenzbereitschaft Auswirkungen auf die kartellrechtliche Beurtei-lung des Verhaltens des Patentinhabers haben kann. Den Feststellungen des Berufungsgerichts lässt sich eine Lizenzbereitschaft in dem oben genannten
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Sinne nämlich nicht entnehmen. Sie ergibt sich auch nicht aus dem Inhalt des Schreibens. Dort findet sich zwar die Erklärung, dass man bereit sei, eine FRAND-Lizenz zu nehmen, gleichzeitig wird aber darauf hingewiesen, dass die eigene Position unverändert bleibe (“To make a long story short, we wish to express that our position remains unchanged, namely that we are willing to conclude a FRAND license and we are of the opinion that our offer is FRAND”; Anlage AR 51 S. 3). Dies konnte aus der objektiven Empfängersicht der Kläge-rin nur dahin verstanden werden, dass es bei der im Schreiben vom 16. Januar 2016 geäußerten unzulässigen Bedingung bleiben sollte.
Angesichts dessen bedarf es keiner abschließenden Bewertung, ob das Schreiben auch in weiterer Hinsicht eine fehlende Bereitschaft zum Ausdruck bringt, in einen ergebnisoffenen Verhandlungsprozess einzutreten und FRAND-Bedingungen mit welchem Inhalt auch immer zu akzeptieren. Hierfür spricht, dass auf dem eigenen Gegenangebot beharrt und mitgeteilt wird, dass man nicht bereit sei, das Angebot nachzubessern, solange die Klägerin nicht bereit sei darzulegen, auf welche Weise die weiteren zum Portfolio gehörenden Pa-tente verletzt seien (“As long as you remain unwilling to specify the way in which your patents (except EP504 and EP885) could be infringed… we are not able to further amend our offer”). Aus der objektiven Sicht der Klägerin ließ dies zum damaligen Zeitpunkt auf eine Verzögerungstaktik der Beklagten schließen. Zwar muss der Patentinhaber beim Angebot einer Portfoliolizenz dem Patent-verletzer hinreichende Informationen zu den zu dem Portfolio gehörenden Pa-tenten zur Verfügung stellen. Diese Obliegenheit geht jedoch nicht über das hinaus, was eine Partei in Vertragsverhandlungen über eine Portfoliolizenz red-licherweise darlegen muss. Nicht anders als beim Verletzungshinweis genügt die Darlegung der Art der jeweiligen Verletzungshandlung sowie der angegriffe-nen Ausführungsformen. Detaillierter technischer oder rechtlicher Erläuterungen zur Benutzung des jeweiligen Patents bedarf es nicht; der Verletzer muss auch insoweit nur in die Lage versetzt werden, sich – gegebenenfalls mit sachver-ständiger Hilfe oder durch Einholung von Rechtsrat – ein Bild von dem Verlet-zungsvorwurf zu machen. Bei Unklarheiten über die Berechtigung des Verlet-zungsvorwurfs kann von redlichen Verhandlungspartnern erwartet werden, in eine Diskussion einzutreten. Ihrer Obliegenheit hatte die Klägerin bereits mit Schreiben vom 20. Dezember 2012 genügt. Diesem hatte sie eine Liste der 450
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zum Patentportfolio gehörenden Patente beigefügt. Dass die Beklagten nach mehr als drei Jahren auf dem formalen Standpunkt beharrten, die Klägerin sei verpflichtet, Claim Charts hinsichtlich aller Patente vorzulegen, stellt jedenfalls ein Indiz dafür dar, dass den Beklagten angesichts des nahen Endes der Lauf-zeit des Klagepatents weniger an einem erfolgreichen Abschluss der Verhand-lungen als an deren weiterer Hinauszögerung gelegen war. Dies gilt wiederum unabhängig von der vom Berufungsgericht offengelassenen Frage, ob und ge-gebenenfalls inwieweit die Beklagten die angebotene Portfoliolizenz ablehnen durften, da der Patentinhaber von einem grundsätzlich lizenzwilligen Verletzer zumindest erwarten darf, dass dieser sich hierfür auf Sachgründe beruft.
Zwar wurde in dem Schreiben darüber hinaus gefordert, dass die Kläge-rin darzulegen habe, auf welche Weise die angebotene Lizenz berechnet wor-den sei. Es kann jedoch zugunsten der Beklagten unterstellt werden, dass die Klägerin ihrer entsprechenden Verpflichtung noch nicht nachgekommen war. Denn diese bestand erst, nachdem die Beklagten ihre ernsthafte Lizenzbereit-schaft bekundet hatten.
(d) Es kann schließlich dahinstehen, ob dem am 20. Januar 2017 – und damit vier Wochen vor dem Berufungsverhandlungstermin vom 16. Februar 2017 – abgegebenen Gegenangebot der Beklagten eine Bereit-schaft zum Abschluss eines FRAND-Lizenzvertrages entnommen werden kann. Denn zum Zeitpunkt der Abgabe dieses Angebots war die Schutzdauer des Klagepatents bereits abgelaufen. Es fehlte infolgedessen wegen Wegfalls der marktbeherrschenden Stellung nicht nur an einer hierdurch begründeten Norm-adressateneigenschaft der Klägerin im Sinne des Art. 102 AEUV und § 19 GWB, sondern sie konnte den Beklagten die Benutzung des patentfrei gewor-denen Gegenstands des Klagepatents für die Zukunft auch nicht mehr gestat-ten. Zu einer rückwirkenden Legitimierung der Verletzungshandlungen war sie nicht verpflichtet.
(2) Ohne dass es hierauf noch ankäme, tragen die Feststellungen des Berufungsgerichts auch nicht seine Annahme, die Klage stelle deshalb einen Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung der Klägerin dar, weil diese den Beklagten diskriminierende Vertragsbedingungen abverlangt habe. Das Beru-fungsgericht hat es dahinstehen lassen, ob sich aufgrund des Vortrags der Klä-gerin Feststellungen dazu treffen lassen, dass diese durch Einschüchterung
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oder Druck einer ausländischen Behörde zur Gewährung von Vorzugsbedin-gungen für das Drittlizenzunternehmen gezwungen wurde. Es hat rechtsfehler-haft angenommen, dies könne schon im Ansatz keine sachliche Rechtfertigung der Ungleichbehandlung darstellen.
Ob für unterschiedliche Preise eine sachliche Rechtfertigung besteht, ist aufgrund einer Abwägung aller beteiligten Interessen unter Berücksichtigung der auf die Freiheit des Wettbewerbs gerichteten Zielsetzung des Kartellrechts zu beantworten (BGHZ 160, 67, 77; BGH, Urteil vom 7. August 2010 – KZR 5/10, WRP 2011, 257 Rn. 23 – Entega II). Der Umstand, dass sich ein Un-ternehmen in einer beherrschenden Stellung befindet, hindert dieses grundsätz-lich nicht, seine eigenen geschäftlichen Interessen zu wahren, wenn diese an-gegriffen werden. Es muss auf einen solchen Angriff in vernünftigem Maße rea-gieren können, soweit das Verhalten nicht auf eine Verstärkung der beherr-schenden Stellung und deren Missbrauch abzielt (vgl. EuGH, Urteil vom 16. September 2008 – C-486/06, Slg. 2008, I-7139 Rn. 50 – Lelos/GlaxoSmithKline). War es aus der Sicht der Klägerin wirtschaftlich ver-nünftig, mangels realistischer Möglichkeiten für eine gerichtliche Durchsetzung ihrer Ansprüche und im Hinblick auf drohende persönliche oder anderweitige wirtschaftliche Nachteile ein an sich unzulängliches Angebot zu akzeptieren, um überhaupt eine Gegenleistung für die Benutzung ihrer Schutzrechte zu erhalten und solchen Bedrohungen durch staatliche Organe zu entgehen, kann dies bei der erforderlichen Abwägung aller betroffenen Interessen einen sachlichen Grund dafür darstellen, gegenüber anderen Unternehmen an ihren üblichen Bedingungen festzuhalten, sofern diese sachlich angemessen sind und insbe-sondere die Wettbewerbsfähigkeit der anderen Unternehmen nicht beeinträch-tigen.
III. Auf die Revision der Klägerin ist das Berufungsurteil mithin aufzu-heben, soweit das Berufungsgericht zum Nachteil der Klägerin erkannt hat. Der Senat kann in der Sache selbst entscheiden, da weitere Feststellungen weder
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erforderlich noch zu erwarten sind und der Rechtstreit daher zur Endentschei-dung reif ist. Soweit die Parteien den Rechtsstreit nicht wegen Ablaufs der Schutzdauer des Klagepatents für in der Hauptsache erledigt erklärt haben, ist im Umfang der von der Klägerin weiterverfolgten Anträge unter Zurückweisung der Berufung das landgerichtliche Urteil wiederherzustellen, da der Klägerin die klageweise geltend gemachten Ansprüche auf Auskunft, Rechnungslegung, Vernichtung und Rückruf sowie der mit dem Feststellungsantrag verfolgte An-spruch auf Schadensersatz zustehen.
1. Infolge der Patentverletzung hat die Klägerin gegen die Beklagten gemäß § 140a Abs. 1, Abs. 3 PatG Anspruch auf Vernichtung und Rückruf der angegriffenen Erzeugnisse.
a) Der Ablauf der Schutzdauer hat, wie bereits ausgeführt (Rn. 65) und das Berufungsgericht zu Recht angenommen hat, von Fällen der Unver-hältnismäßigkeit abgesehen, lediglich zur Folge, dass die Ansprüche auf solche Erzeugnisse beschränkt sind, die der Verletzer bis zum Ablauf der Schutzdauer in Besitz oder Eigentum hatte bzw. die bis dahin hergestellt und geliefert wur-den. Dem hat die Klägerin Rechnung getragen, indem sie in der mündlichen Verhandlung klargestellt hat, dass sie die Ansprüche nur in diesem beschränk-ten Umfang weiterverfolgt.
b) Nach den unbeanstandet gebliebenen Feststellungen des Beru-fungsgerichts haben die insoweit darlegungs- und beweisbelasteten Beklagten keine besonderen Umstände vorgetragen und sind auch keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die Inanspruchnahme hier gemäß § 140a Abs. 4 PatG unverhältnismäßig ist.
Solche besonderen Umstände ergeben sich im Streitfall auch nicht be-reits aus dem Umstand, dass das Klagepatent bei Erlass des Berufungsurteils seit etwa einem halben Jahr abgelaufen war (vgl. BGH, Be-schluss vom 25. September 2018 – X ZR 76/18, GRUR 2018, 1295 Rn. 6 – Werkzeuggriff).
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2. Die Beklagten sind der Klägerin ferner nach § 139 Abs. 2 PatG zum Schadensersatz verpflichtet und haben ihr die erforderlichen, die vom Landgericht zugesprochene Rechnungslegung umfassenden Auskünfte zu er-teilen, damit die Klägerin ihren Schadensersatzanspruch beziffern kann. Die Ansprüche sind in zeitlicher Hinsicht wegen Ablaufs der Schutzdauer be-schränkt. Dem hat die Klägerin im Berufungsverfahren dadurch Rechnung ge-tragen, dass sie die Anträge auf Verletzungshandlungen bis zum 25. September 2016 bezogen hat.
a) Ohne Rechtsfehler hat das Berufungsgericht das für den Scha-densersatzanspruch erforderliche Verschulden in Form der Fahrlässigkeit auch für den Zeitraum vor dem Zugang des ersten Verletzungshinweises der Kläge-rin bejaht. Denn die Obliegenheit des Inhabers eines standardessentiellen Pa-tents ändert nichts daran, dass es grundsätzlich Sache des Verletzers ist, sich vor Aufnahme der Herstellung oder des Vertriebs eines technischen Erzeugnis-ses zu vergewissern, dass hiermit nicht Schutzrechte Dritter verletzt werden (BGH, GRUR 2001, 323, 327 – Temperaturwächter). Zwar ist es angesichts der Vielzahl von Patenten, von denen insbesondere im Bereich der Informations- und Telekommunikationstechnik ein Produkt betroffen sein kann, mit erhebli-chen Schwierigkeiten verbunden, sich einen vollständigen und zuverlässigen Überblick über sämtliche relevanten Schutzrechte zu verschaffen (vgl. EuGH, WRP 2015, 1080 Rn. 62 – Huawei/ZTE). Dieses Informationsdefizit liegt jedoch nicht im Verhalten des Patentinhabers begründet und rechtfertigt deshalb eine Abweichung von dem sonst geltenden Sorgfaltsmaßstab nicht.
b) Die Annahme des Berufungsgerichts, der von den Beklagten zu leistende Schadensersatz sei der Höhe nach auf dasjenige beschränkt, was sich nach dem Maßstab einer Lizenzanalogie ergebe, träfe auch dann nicht un-eingeschränkt zu, wenn der Ausgangspunkt des Berufungsgerichts richtig wäre, die Klägerin habe mit der Unterlassungsklage ihre marktbeherrschende Stel-lung missbraucht.
Die Geltendmachung eines Schadensersatzanspruchs wegen Patentver-letzung stellt, wie auch das Berufungsgericht nicht verkennt, auch bei einem standardessentiellen Patent grundsätzlich keinen Missbrauch der marktbeherr-schenden Stellung des Patentinhabers dar (EuGH, WRP 2015, 1080 Rn. 74
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– Huawei/ZTE). Der Verletzer kann daher dem Schadensersatzanspruch des Patentinhabers nur einen eigenen Schadensersatzanspruch entgegenhalten, der auf die Nichterfüllung seines Anspruchs auf Abschluss eines Lizenzvertra-ges zu angemessenen und nicht-diskriminierenden Bedingungen gestützt ist und kraft dessen er verlangen kann, so gestellt zu werden, wie er stünde, hätte der Patentinhaber diesen Anspruch unverzüglich erfüllt. Ein solcher Gegenan-spruch kann mithin erst entstehen, wenn der Verletzer vom Patentinhaber (zu-nächst durch Bekundung seiner Lizenzbereitschaft) den Abschluss eines Li-zenzvertrages zu FRAND-Bedingungen verlangt und der Patentinhaber hierauf nicht in Einklang mit den ihn wegen seiner marktbeherrschenden Stellung tref-fenden Verpflichtungen reagiert, indem er sich entweder rechtswidrig weigert, einen solchen Lizenzvertrag abzuschließen (vgl. BGHZ 160, 67, 82 – Standard-Spundfass) oder trotz der Lizenzbereitschaft des Patentverletzers kein Angebot zu FRAND-Bedingungen abgibt.
c) Danach scheidet eine Beschränkung des Schadensersatzan-spruchs der Klägerin im Streitfall vollständig aus. Jedenfalls während der Schutzdauer des Klagepatents haben die Beklagten, wie ausgeführt, ihre Be-reitschaft, einen Vertrag zu FRAND-Bedingungen abzuschließen, nicht in aus-reichendem Maße bekundet.
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3. Die Kostenentscheidung beruht, soweit sie nicht die nicht der Nachprüfung im Revisionsverfahren unterliegende Entscheidung des Beru-fungsgerichts nach § 91a ZPO nachvollzieht, auf § 97 Abs. 1 ZPO.

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